Medien, die in ungelösten Kriminalfällen ermitteln, sind in den USA der letzte Schrei. Aber noch niemandem ist ein solcher Scoop gelungen wie der HBO-Dokuserie „The Jinx“: Einen Tag nach Ausstrahlung des Finales wurde der 71-jährige Millionenerbe Robert Durst wegen Mordes angeklagt – er hatte sich in der Sendung versehentlich selbst bezichtigt. Auch HBO und die Polizei müssen sich nun kritischen Fragen stellen.
Dramatischer laufen Interviews selten: Erst kann der Beschuldigte nicht erklären, warum seine Handschrift derjenigen eines Briefes gleicht, von dem er selbst sagt, nur der Mörder könne ihn geschrieben haben. Dann geht er ins Bad und vergisst, dass er noch ein Mikrofon an der Kleidung trägt: „Jetzt ist es so weit, sie haben dich“, murmelt er in den Spiegel. „Was zur Hölle habe ich getan? Na klar, ich habe sie alle umgebracht.“
Das schwarze Schaf der Familie
Robert Durst verdankt sein Vermögen dem prominenten Immobilienimperium Durst Organization, das in Manhattan unter anderem das One World Trade Center mitentwickelt hat. Das schwarze Schaf der Familie macht seit den 80er-Jahren Schlagzeilen, als seine Frau spurlos verschwand. Auf ähnlich mysteriöse Weise kam im Jahr 2000 die Tochter eines Las-Vegas-Gangsters ums Leben. Die Fälle haben neben Büchern und TV-Filmen 2010 den Streifen „All Good Things“ mit Kirsten Dunst und Ryan Gosling inspiriert (in Deutschland: „All Beauty Must Die“). 2001 räumte Durst ein, einen Nachbarn getötet zu haben. Er konnte sich aber auf Notwehr herausreden.
In seiner sechsteiligen Serie hat HBO die erkalteten Spuren akribisch aufgearbeitet. Den Machern zufolge hatten Dursts Anwälte ihm geraten, sich nicht zu äußern, aber er gewährte ihnen dennoch zwei Interviews. Das Ergebnis war sensationell genug, um den Greis einen Tag vor der Ausstrahlung in New Orleans zu verhaften.
Dabei sehen Kritiker allerdings auch Klärungsbedarf: Angeblich haben die Filmer der Polizei ihr Material schon vor Monaten übergeben – warum erfolgte die Festnahme dann zum optimalen Zeitpunkt, um die Einschaltquoten zu steigern? Dursts Anwälte können darauf verweisen, dass ihr Mandant noch weitere Sätze ins Mikrofon gemurmelt hat, die teilweise befremdlich wirken. Falls die Aufnahmen in einem Gerichtsverfahren überhaupt zulässig sind, könnte die Verteidigung versuchen, sie als Beleg für geistige Verwirrung zu nutzen.
Die Polizei begründet die Arretierung mit dem Verdacht, Durst habe sich von New Orleans aus nach Kuba absetzen wollen – seit Samstag gibt es dort wieder eine Flugverbindung. Der Nachrichtenagentur Associated Press sagte ein Beamter, die HBO-Aufnahme habe für die Anklage keine Rolle gespielt, weil die Behörden sie noch auf Manipulationen untersuchten. Bei seiner Festnahme trug Durst einen Revolver bei sich; er soll unter falschem Namen gereist sein. Die Ermittler werfen ihm vor, im Jahr 2000 seine Vertraute erschossen zu haben, die Autorin Susan Berman. Angeblich wollte er verhindern, dass die Polizei sie zum Tod seiner Frau befragte. Kathleen Durst war 1982 in New York verschwunden; zuvor soll sie Verwandten von Misshandlungen durch ihren Mann berichtet haben. In beiden Fällen konnten die Behörden Durst nie etwas nachweisen. Von Bermans Tod waren Polizisten aber durch ein anonymes Schreiben informiert worden. Die Fernsehmacher haben einen Brief von Durst an Berman aufgetan, der nicht nur in der Handschrift, sondern auch bei einem Adressfehler mit diesem Dokument übereinstimmt.
Ob nun auch ein Fall aus dem Jahr 2001 wieder aufgerollt wird, ist ungewiss. Damals gaukelte Durst in einem billigen Apartment in Texas ein Leben als Taubstummer vor, angeblich, um den Medien zu entkommen. Nach dem Tod eines Nachbarn räumte er ein, ihn getötet und zerstückelt zu haben, wurde aber freigesprochen. Schon damals bescheinigten seine Verteidiger ihm Autismus und ein Kindheitstrauma durch den Suizid seiner Mutter. Zu dem Prozess wäre es gar nicht gekommen, wenn Durst nicht nach seiner Flucht nach Pennsylvania ein Sandwich gestohlen hätte.
Ungelöste Kriminalfälle
In den USA haben in jüngster Zeit mehrere Medien für Aufsehen gesorgt, die über ungelöste Kriminalfälle nicht nur berichten, sondern selbst aufwendige Untersuchungen starten. Vergangenes Jahr hatte das populäre Radio-Podcast „Serial“ die Neuaufnahme eines Verfahrens bewirkt, in dem 1999 ein junger Mann des Mordes an seiner Ex-Freundin schuldig gesprochen worden war.
Journalisten sind bei ihren Recherchen nicht an die gleichen Regeln gebunden wie staatliche Ermittler. Experten sehen darin auch eine Gefahr für die Rechte der Beschuldigten.