Die Neugier ist groß – und die Anerkennung am Ende auch. Als Ursula von der Leyen im Januar zur Sicherheitskonferenz nach München fährt, weiß sie, dass bei diesem Auftritt jedes Wort und jede Geste sitzen muss. In der Welt, die sie als Verteidigungsministerin keine zwei Monate zuvor betreten hat, gibt es kein anspruchsvolleres Publikum und kein prominenteres. Die Generalsekretäre der Vereinten Nationen und der Nato, die Außenminister Russlands und der USA, dazu der unvermeidliche Henry Kissinger: Wer von dieser Runde gewogen und für zu leicht befunden wird, macht im nächsten Jahr am besten einen Bogen um den „Bayerischen Hof“. Ursula von der Leyen wird wieder kommen. Zehn Minuten lang redet sie in München in fließendem Englisch und ohne diplomatische Schnörkel von einem Deutschland, das Amerikaner, Briten und Franzosen bis dahin so nicht gekannt haben und dem sie anschließend mit kräftigem Beifall applaudieren.
Nachdem Bundespräsident Joachim Gauck zum Auftakt der Konferenz bereits angemahnt hat, ein Land wie die Bundesrepublik müsse sich in internationalen Krisen früher und stärker engagieren, spinnt die Verteidigungsminister diesen Faden weiter. Mit einem Unterschied: Wo Gauck seine Zweifel an der alten Politik des Sich-Heraushaltens noch in ein paar rhetorische Fragen verpackt hat, redet die Neue Klartext. „Gleichgültigkeit“, sagt sie, „ist keine Option“.
Sieben Monate später ist aus der eher theoretischen Diskussion in München eine sehr konkrete Berliner Debatte geworden, eine Frage von Krieg und Frieden, wenn man so will. Mit der Entscheidung, den Kurden im Nordirak für ihren Kampf gegen die Mörderbanden des Islamistischen Staates notfalls auch Waffen zu liefern, hat die Koalition einen politischen Kurswechsel vollzogen, dessen Tempo und dessen Vehemenz alle Beteiligten noch etwas zu überfordern scheinen – nur Ursula von der Leyen nicht. Ein Foto aus der vergangenen Woche, aufgenommen im Morgengrauen, kurz vor dem Abflug eines Hilfstransportes, ist zu einer Art Synonym für dieses neue Deutschland geworden. Es zeigt eine Frau, die sich ihrer Sache sicher ist: ernst, entschlossen, voller kühler Energie, das Gesicht punktgenau vom Blitz der Kamera erleuchtet. Diese Frau aber ist nicht die Kanzlerin, es ist Ursula von der Leyen.
Solche Fotos entstehen nicht zufällig, weil ein Fotograf gerade die Gunst eines Augenblickes nutzt. Solche Fotos werden inszeniert, weil auch Politiker gelernt haben, wie die Medien in Bildern zu denken. In diesem Fall allerdings könnte sich die forsche Verteidigungsministerin verkalkuliert haben, weil die höhnischen Bemerkungen über ihren etwas martialischen Auftritt und die Jeans-Jacke, die sie dabei trug, die anerkennenden Kommentare über den neuen außenpolitischen Realismus der Koalition zeitweise zu überlagern drohten. Auch über ihre jüngste, scherzhaft gemeinte Bemerkung in einem Interview, Deutschland werde zur nächsten Fußball-Weltmeisterschaft mit der Nationalelf „schießendes Personal“ schicken, rollten einige Koalitionäre genervt mit den Augen. „Sie muss aufpassen, was sie sagt“, warnt ein Kollege aus dem Kabinett. „Das Wort einer Verteidigungsministerin hat ein ganz anderes Gewicht als das einer Familienministerin.“
Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang, auf das Ursula von der Leyen sich eingelassen hat. In keinem anderen Ressort haben die Minister in den vergangenen Legislaturperioden so häufig gewechselt wie in ihrem – kein anderes allerdings bietet einer Frau mit ihren Talenten und ihrem Ehrgeiz auch eine solche Bühne, national wie international. Als die Kanzlerin ihr nach der Bundestagswahl das Verteidigungsressort anbot, musste die 55-Jährige nicht lange überlegen.
Während die meisten anderen Minister noch dabei waren, sich zu sortieren, hatte sie mit sicherem Instinkt bereits ein Thema identifiziert, mit dem sie fortan glänzen wollte: eine familienfreundlichere Bundeswehr mit weniger Versetzungen, mit Kindergärten in den Kasernen und einer Ministerin an der Spitze, die sich um ihre Soldaten kümmert wie die berühmte Mutter der Kompanie. Teure Drohnenprojekte? Fehlender Nachwuchs? Mängel bei der Ausrüstung? Darüber redet Ursula von der Leyen nicht ganz so gerne.
Die Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht ist eine Meisterin des Eigenmarketings. Sie kann ihr verbindliches Lächeln anknipsen wie andere Leute das Licht im Flur, ihren Gesprächspartnern dabei aber gleichzeitig das Gefühl geben, als ginge es alleine um sie. Und wenn sie, wie im Frühjahr, die Soldaten besucht, die am Horn von Afrika die somalischen Piraten auf Abstand halten, sitzen in ihrer Maschine nicht nur die üblichen politischen Korrespondenten aus Berlin, sondern auch Journalisten der „Brigitte“, der „Petra“ oder der „Gala“, die sich natürlich kein bisschen für die Bundeswehr und ihre schwierige Mission dort interessieren, sondern allein für die Frau, die innerhalb von nicht einmal neun Jahren von einer mäßig bekannten niedersächsischen Landesministerin mit sieben Kindern zur gefühlten Ersatzkanzlerin aufgestiegen ist.
Nach Angela Merkel ist Ursula von der Leyen die mächtigste Frau in der deutschen Politik, und auch wenn sie behauptet, in jeder Generation komme nur einer für die Kanzlerschaft infrage, und in ihrer sei das nun einmal Angela Merkel, nimmt ihr das in Berlin niemand so recht ab. Spätestens seit dem Rücktritt des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler vor vier Jahren, als sie sich für kurze Zeit als dessen Nachfolgerin fühlte und ihren Stolz darauf auch nicht verbarg, steht die stellvertretende CDU-Vorsitzende im Verdacht, ihre jeweiligen Ministerien nur als Zwischenstationen auf dem Weg nach ganz oben zu betrachten.
Aus der Opposition, die sich in außenpolitischen Angelegenheiten sonst eher zurückhält, muss sie sich deshalb einiges anhören. „Ihr geht es allein darum, Tabus zu brechen und sich zu profilieren“, argwöhnt der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter. „Eine aktive Außenpolitik kommt für sie nur bewaffnet daher.“ Noch deutlicher wurde vor kurzem ein Kommentator der „Welt“, der ihr vorwarf, ihre Politik reduziere sich auf die knappe Formel „Blenden und Imponieren.“ Sorgsam inszenierte Fotografien, spottete er, „ersetzen die Richtlinienkompetenz in ihrem Ressort“.
Tatsächlich lässt die erste Frau an der Spitze des Ministeriums kaum einen Stein auf dem anderen. Sie hat die Vergabe von Rüstungsaufträgen auf den Prüfstand gestellt, sich gegen große Widerstände eine Unternehmensberaterin von McKinsey als Staatssekretärin an die Seite geholt und auch sonst keine Scheu, vermeintlich Altbewährtes infrage zu stellen. Die Waffenlieferungen an die Kurden, die Ursula von der Leyen im Gegensatz zu Joachim Gauck oder Außenminister Frank-Walter Steinmeier auch einen Tabubruch nennt, sind so gesehen nur das berühmte Tüpfelchen auf dem i – wenn auch ein ziemlich großes. Sich mit zweistelligen Milliardenbeiträgen aus einem internationalen Militäreinsatz herauszukaufen, wie es die Regierung Kohl während der Kuwait-Krise Anfang der neunziger Jahre getan hat – diese Politik mit dem Scheckbuch, sagt Ursula von der Leyen, „ist längst vorbei“.
In ihr Credo, dass Deutschland in einer globalisierten Welt mehr Verantwortung übernehmen muss und Terroristen wie die des Islamischen Staates nicht einfach gewähren lassen darf, stimmen inzwischen zwar auch die meisten Mitglieder des Kabinetts mit an. Viele Kollegen allerdings stören sich an dem Tempo und an der Diktion, die die Ministerin anschlägt. „Sie muss aufpassen, dass die Ausnahme nicht zur Regel wird“, warnt ein Minister der Union. In Zukunft würden die Deutschen bei jeder größeren Krise zu hören bekommen: „Aber im Irak habt Ihr doch auch eingegriffen.“
Bis Mitte nächster Woche will Ursula von der Leyen entscheiden, was genau die Bundeswehr in den Irak liefert – es werden vermutlich nicht nur Nachtsichtgeräte und Notstromaggregate sein.
Ministerin mit Ambitionen
Ursula von der Leyen ist die Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht. Die zierliche 55-Jährige ist promovierte Ärztin und Mutter von sieben Kindern. In der Politik legte sie eine Blitzkarriere hin. Nach einer Stippvisite in der Kommunalpolitik wurde sie 2003 in Niedersachsen Sozialministerin unter dem damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff. 2005 holte Kanzlerin Angela Merkel sie als Familienministerin nach Berlin. Unter ihrer Führung wurden 2007 das Elterngeld und die Elternzeit-Vätermonate eingeführt. 2009 wurde von der Leyen Bundesarbeits- und Sozialministerin. Im vergangenen Jahr rückte sie bei der neuen Kabinettsbildung überraschend an die Spitze des Verteidigungsressorts – als erste Frau auf diesem Posten. Von der Leyen gilt als ausdauernd, zäh, ehrgeizig und durchsetzungsstark. Ihr Name wird auch genannt, wenn es darum geht, wer nach Angela Merkel der nächste Kanzlerkandidat der Union werden könnte. Text: dpa