Schublade auf, Schublade zu. Da versuchen mal wieder zwei zu erklären, wie wir so ticken. Reizvoll, sehr reizvoll. Aber schwierig. Wenn nicht unmöglich. Schon allein, weil wir Schwaben und das Schwäbische an sich wohl nie in Gänze zu erklären sein werden. Und wenn dann noch die Politik ins Spiel kommt wie hier . . . Obacht!
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, im ARD-Talk bei Sandra Maischberger. Auf der Videowand hinter den beiden leuchtet eine Stunde lang unter einer Kretschmann-Fotogalerie penetrant der Titel „Winfried I., König von Schwaben“. Irgendwann doziert der Gekrönte, eine typisch schwäbische Eigenschaft sei es, „hälinga“ zu sein, also „nicht alles, was man tut, wie eine Monstranz vor sich herzutragen“. Auch nicht die sexuelle Orientierung.
Kretschmann hat kürzlich erst von der klassischen Ehe als bevorzugter Lebensform der Menschen gesprochen. Eine Bemerkung, so spektakulär wie: Nachts ist es dunkel. Einigen in seiner grünen Partei passte sie trotzdem nicht. Vom Maischberger-Abend bleibt jedenfalls hängen: Schwaben sind hälinga.
Oder: EU-Kommissar Günther Oettinger, tags darauf. Seine doch arg flapsigen Bemerkungen über Chinesen (wörtlich: „Schlitzaugen“) erklärt er sinngemäß damit, er habe „frei von der Leber“ geplaudert. Wie er halt so ist und schon oft bewiesen hat. Und weil er seine Entschuldigung in gewohnt tiefschwäbisch gefärbtem Englisch vorträgt (böse Zungen nennen das Schwänglisch), bleibt hängen: Schwaben sind nicht nur hälinga, sondern auch undiplomatisch, und ihr Englisch ist auch grottig. Was wäre die Welt ohne Schubladen?
Nun könnte man es sich einfach machen als bayerischer Schwabe, sich zurücklehnen und den Kretschmanns, Oettingers und anderen Deutern entgegnen: Seid doch eh nur ihr Württemberger gemeint. Aber so einfach ist das nicht. Wir hängen ganz schön mit drin.
Auf nach Stuttgart, ins Landesmuseum, dritter Stock. Die Aufzugstür öffnet sich. Menschen starren auf eine Videowand. Der einstige „Tatort“-Kommissar Bienzle philosophiert über die Kehrwoche. Schnitt. Die Zeichentrickfiguren Äffle und Pferdle singen den „Hafer- und Bananen-Blues“. Schnitt. Das Komikerduo Häberle und Pfleiderer plaudert im trägen Jaja-Soso-Stil. So viel Ländle pur muss sein am Eingang einer baden-württembergischen Landesausstellung. Besucher lächeln verklärt. Begrüßung gelungen.
Dann aber, gleich hinter der Videowand. Eine große Landkarte von Süddeutschland. Daneben die Aufforderung: Markieren Sie die Orte, die für Sie zu Schwaben gehören. Eine Flut an kleinen Magnetsteinchen haften auf bayerischem Grund, zwischen Neu-Ulm und Augsburg, Nördlingen und Oberstdorf. Keine Zweifel: Die bayerischen Schwaben waren da. Viele bayerische Schwaben. Und zwar völlig zu Recht.
Von wegen, sind doch nur die Württemberger gemeint bei all den Hälinga- und Schwänglisch-Geschichten. In der Landesausstellung „Die Schwaben – zwischen Mythos und Marke“ steckt erstaunlich viel über bayerische Schwaben. Sowohl politisch, kulturell als auch gesellschaftlich. Beginnen wir unseren kleinen Spaziergang durch die Gemeinsamkeiten bei der einfachsten und zugleich schwierigsten Frage: Wer sind die Schwaben eigentlich?
Fangen wir ganz vorne an. Der Name „Schwaben“ lässt sich auf die germanischen Sueben zurückführen. So weit, so gut. Das gilt aber nur für den Namen, nicht für die Bevölkerung. Ein Stamm der Schwaben existierte nicht. Der Autor Anton Hunger schreibt im Begleitbuch zur Ausstellung: „So etwas wie den lupenreinen Schwaben hat es nie gegeben. Die Schwaben waren immer eine bunte Mischung von in die Region zwischen Oberrhein und Lech, Neckar und Bodensee kriegerisch eingefallenen oder eingewanderten Gruppen.“ Sitzen sie also schon mal in einem Boot, die bayerischen Schwaben und die Schwaben von drüben.
Geografisch betrachtet? Das Schwaben als Ganzes gibt es nicht, sondern nur ein diffuses Schwabenland, das jeder anders definiert. Gefühlte Grenzen verlaufen anders als politische oder sprachliche. Einige Gebiete, die heute zum Schwabenland gehören, waren nicht schon immer schwäbisch. Und was ehemals schwäbisch war, ist heute zum Teil badisch oder schweizerisch. Es gibt eine Schwäbische Alb, aber damit ist nur ein Mittelgebirge gemeint. Da ist von einem Oberschwaben als Landschaft die Rede, was im Südosten Baden-Württembergs gängig ist, bei uns in Bayern aber nicht.
Heute gibt es nur noch ein politisches Territorium mit klaren Grenzen, das offiziell „Schwaben“ heißt: der bayerische Regierungsbezirk. Das bedeutet nicht, dass die Zuneigung all seiner Bewohner dazu grenzenlos ist. Man denke nur an Andreas Kopton, Präsident der Industrie- und Handelskammer, der vor drei Jahren vorschlug, Schwaben in Westbayern umzubenennen. Mit der Begründung, der Name ziehe bei der Vermarktung der Region Augsburg im Ausland nicht, zumindest werde er viel zu oft mit Württemberg in Verbindung gebracht. Die Idee gilt als beerdigt. Für die Südschwaben dürften Schwaben und Westbayern Jacke wie Hose sein. Sie haben ihre eigene Marke: Allgäu.
War das schon immer so ein heilloses schwäbisches Kuddelmuddel? Nun, im Mittelalter gab es zumindest mal ein Herzogtum Schwaben, das im Osten bis an den Lech und im Süden bis in die heutige Schweizer Region Chur reichte. Um 1500 entstand der Schwäbische Reichskreis, eine Art politischer Verbund, der später sogar ein gemeinsames Heer aufstellte. 1806 wurden neue Fakten geschaffen: dort das Königreich Württemberg, hier das Königreich Bayern. Der Name Schwaben blieb – hier wie dort. Im 20. Jahrhundert gab es übrigens immer wieder Pläne für ein gemeinsames Großschwaben.
Konkret wurden diese nie. Marita Krauss hat dieses Stück Geschichte im Begleitband zur Ausstellung aufgearbeitet. Die Professorin hat an der Augsburger Universität den Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte.
Auf dem Rundgang durch die gemeinsame Geschichte lohnt sich der genauere Blick in zwei spannende Räume. Einer widmet sich Ulm, der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Metropole Schwabens im Spätmittelalter. Der andere beleuchtet Augsburg im Übergang zur Neuzeit, als es den Ulmern den Rang ablief. Kein Ausstellungsraum funkelt so prächtig wie dieser, dank der berühmten Augsburger Gold- und Silberschmiedekunst. Und natürlich dürfen auch die Fugger und Welser nicht fehlen.
Ulm wiederum zieht sich durch die ganze Schau. Wenn es um die „Donauschwaben“ geht, die sich im 18. Jahrhundert für die Besiedelung der Donaugebiete östlich von Wien anwerben ließen und in Ulm an Bord gingen. Und selbstredend thront hier und dort das Münster, als Klötzchen-Bau etwa. Zwei Entwicklerinnen aus dem Günzburger Legoland-Freizeitpark haben ihn für ein Münster-Jubiläum aus 112 000 Legosteinen gefertigt. Ein schwäbisch-schwäbisches Gemeinschaftsprojekt, wenn man so will.
Gibt es so etwas wie eine schwäbische Identität? Fragt man heute hier wie dort nach einem Merkmal, das am ehesten für einen gemeinsamen schwäbischen Raum spricht, dann sagen viele: Das ist die Sprache. Nach dem Motto: Wo man Schwäbisch schwätzt, da ist Schwaben. Natürlich fangen da die Feinheiten schon an, sprich die Dialekte.
Hinein also in das Herzstück der Ausstellung, das Sprachlabor. Hier ist Patriotismus gefragt. Man darf nach Lust und Laune selbst schwäbeln. Eine Kamera zeichnet das auf, und die Mit-Schwaben haben ihren Spaß daran. Oder man lernt, dass im Raum Rottweil-Sigmaringen Kartoffeln auch Herdepfl heißen, in Augsburg und im Ostallgäu Grombira oder in Memmingen Bodabira.
Christina Kreibich hat auf einer Tafel das Wort „Biescht“ hinterlassen. Sie stammt ursprünglich aus dem Günzburger Raum, und da, sagt sie, hat man zur „Bürste“ eben „Biescht“ gesagt. Das sollen die Stuttgarter und Konstanzer und Allgäuer ruhig wissen. Heute lebt Kreibich in Augsburg und Bamberg, wo sie als Kommunikationsmanagerin in der Industrie arbeitet. Sie ist zugleich promovierte Germanistin; klar, dass sie nach Stuttgart fahren musste und das Sprachlabor es ihr besonders angetan hat. „Herrlich, wie man hier spielerisch mit Sprache umgeht.“
Von Berufs wegen redet sie meist Hochdeutsch. Aber das Schwäbische – doch, sagt sie, das steckt tief im Herzen. Dann erzählt sie von den ersten Tagen damals an der Universität Würzburg, wo sie studiert hat. Wie sie die Ohren gespitzt hat, ob sie bei den Kommilitonen nicht einen Augsburger Dialekt heraushört. „Das ist ein Stück Heimat, so wird es immer sein.“ Sie findet es auch mutig, dass der Dialekt in der Ausstellung so offen und selbstironisch thematisiert wird. „Die Stuttgarter sind selbstbewusst, alle Achtung!“ Schließlich gehöre Schwäbisch zu den eher unbeliebten Dialekten in Deutschland. Selbst der Audioguide, der kleine elektronische Ausstellungsführer, plaudert auf Schwäbisch. „Rundum gelungen“, findet Kreibich die Schau.
Weiter geht's. Wie sind wir denn so? Eine typisch schwäbische Antwort lautet: Nix Genaues weiß man nicht. Die Wissenschaft sagt, das Verständnis vom Schwaben sei ein Sammelsurium unterschiedlichster Bilder und Vorstellungen aus unterschiedlichsten Epochen. Mal war der Schwabe super-tapfer, dann wieder super-feige. Mal einfältig und bieder, mal erfinderisch.
Der Schriftsteller Friedrich Theodor Vischer hat im 19. Jahrhundert behauptet, die Schwaben seien ein „Völklein schwer zu begreifen: Gutes und Schlimmes verknäuelt wie kaum irgendwo“. Drehen wir den Spieß doch um: Ist nicht gerade diese Vielfalt und Widersprüchlichkeit der eigentliche Wesenszug der Schwaben? Natürlich neben der Sparsamkeit.
Und damit willkommen in der großen weiten Welt der schwäbischen Klischees. Die Ausstellungsmacher lassen nichts aus, wirklich nichts. Hier ein -le, da ein -le, frei von der Leber, würde Oettinger sagen. Immer mit einem Augenzwinkern. Wenngleich das Ganze nun doch arg württembergisch wird. Kittelschürze, Kehrwoche, Schaffe, schaffe, Häusle – Sie wissen schon. Ein Tuch, das mit dem Spruch bestickt ist: Fegen und Kehren soll man ehren. Ein bisschen Erfindergeist, ein bisschen Humor samt Kasperle aus der Augsburger Puppenkiste. Zum Schluss: ein großer Tisch vollgepackt mit Gerätschaften, die man braucht, um Spätzle machen zu können. Da kennen sich die Bayern auch aus. Die Besucher dürfen schließlich ihr „schwäbisches Ding“ wählen. Haushoch vorne: Linsen mit Spätzle, dahinter die Brezel und die Kehrwoche.