Ein Spätsommertag im Veitshöchheimer Hofgarten: Die ersten Blätter leuchten bereits hellgelb im Sonnenschein. In der Luft liegt ein silbriger Schimmer. Es ist ungewöhnlich warm. Die schöne Stimmung weckt noch schönere Erinnerungen. Die beiden Frauen laufen zu einem der Pavillons, den romantischen Plätzen inmitten der Rokokoanlage. „Dort saßen wir damals auch“, sagt Gabriele Richter zu Sigrid Kohm. Die Frauen lächeln versonnen, halten sich fest an den Händen. Damals, das war am 10. Mai 2002.
Es ist für die Frauen ein besonderes Datum. Am 10. Mai vor 21 Jahren haben sie sich in einer Würzburger Kneipe kennengelernt. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Sigrid Kohm mit Pfälzer Einschlag. Sie kommt aus Ludwigshafen, lebte lange in Mannheim, bevor sie 1984 nach Veitshöchheim zog. Schon nach wenigen Wochen Beziehung stand fest: „Wenn es einmal möglich wäre, dass wir beide heiraten können, dann tun wir es nur an diesem Tag im Mai.“ Das Paar musste sich lange gedulden.
Der Bundestag in Berlin hatte das Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft, kurz Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) nach langen und zähen Verhandlungen im Februar 2001 verabschiedet – mit den Stimmen von SPD und Grünen und gegen den teilweise heftigen Widerstand von CDU und CSU. August 2001 trat es in Kraft. Schwule und lesbische Paare können sich seither ein offizielles Jawort geben. In Bayern war es ab November 2001 möglich.
Gabriele Richter und Sigrid Kohm warteten jedoch bis zu „ihrem Tag“. Am 10. Mai 2002 ließen sie im Bankettraum eines Veitshöchheimer Hotels ihre Lebenspartnerschaft von einem Würzburger Notar eintragen und ihre langjährige innige Beziehung von einem evangelischen Pfarrer segnen – im Beisein ihrer Familien und engsten Freunde. „Für Gaby war der kirchliche Segen sehr wichtig, sie wurde katholisch erzogen“, erzählt ihre Partnerin. Aber an einen katholischen Pfarrer wollten sie sich nicht wenden. „Der hätte uns verteufelt“, meint Sigrid Kohm. Sie klopften bei mehreren evangelischen Geistlichen an. Die Reaktionen reichten von ängstlicher Zurückhaltung bis hin zu deutlicher Abweisung, erzählen die 51-Jährigen rückblickend. Doch dann habe ein Pfarrer „ohne zu zögern“ zugesagt und ihre Beziehung „im Rahmen seiner seelsorgerischen Tätigkeit“ gesegnet. „Das war mutig“, finden die Lebensgefährtinnen noch heute.
Ein Spaziergang im Veitshöchheimer Hofgarten stand damals natürlich auch auf dem Programm. Nichts Ungewöhnliches. Auf „normalen“ Hochzeiten wandelt die Festgesellschaft ebenso gerne den breiten Hauptweg entlang zum Schloss und großen See. Und der steinerne Pegasus mitten im Wasser hat schon viele frisch Vermählte erlebt, die sich von Fotografen in Positur stellen lassen, damit der Tag auch bildlich gut in Erinnerung bleibt. Egal ob hetero- oder homosexuelle Paare – Unterschiede gibt es in diesen Ritualen keine, und schon gar nicht bei den Gefühlen.
Gleichgeschlechtliche Verbindungen sind jedoch gegenüber Ehen zwischen Frau und Mann nicht gleichberechtigt. „Es gibt eigentlich mehr Nachteile als Vorteile, nur Pflichten und wenig Rechte“, fasst Versicherungsfachwirtin Gabriele Richter die bestehenden Unterschiede zusammen. Sie arbeitet selbstständig. Ihre Partnerin ist frühverrentet. Sie erblindete 1999 aufgrund einer Komplikation nach einer Operation. Würde das Ehegattensplitting auch für sie gelten, hätte das zumindest steuerliche Vorteile.
Vor wenigen Tagen hat sich ein Hoffnungsschimmer aufgetan. Nach dem Bundestag hat am 23. September auch der Bundesrat einem Gesetz zugestimmt, das Bundesbeamte, Richter und Soldaten, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, Ehen gegenüber gleichstellt. Künftig erhalten sie Zuschläge wie verheiratete Heterosexuelle, sei es die Beihilfe zu Krankenkosten oder die Hinterbliebenenversorgung. Es könnte also nur noch ein kurzer Weg sein, bis das auf alle homosexuellen Lebenspartnerschaften zutrifft. Die Grünen fordern es anlässlich zehn Jahre Partnerschaftsgesetz ohnehin. Aufgrund deren Initiative ist das Gesetz einst überhaupt erst Wirklichkeit geworden.
Noch ungleich geregelt ist das Adoptionsrecht. Auch Gabriele und Sigrid haben sich Kinder gewünscht, „als wir jung waren“. Es hätte jedoch nur eine von beiden adoptieren können. „Was ist, wenn genau dieser Elternteil sterben sollte? Dann kommen die Kinder ins Heim“, empören sie sich, obwohl der Wunsch schon lange begraben ist – schon allein wegen der Blindheit von Sigrid Kohm.
Nach diesem Schicksalsschlag haben sie sich fast ein Jahr lang zurückgezogen. „Wir waren mit uns selbst beschäftigt, mussten unser Leben auf die Reihe bekommen“, erzählen sie. Letztlich hat es die Frauen nur noch enger zusammengeschweißt. „Uns gibt es nur im Doppelpack“ betonen beide und fügen selbstbewusst hinzu: „Uns muss man nehmen, wie wir sind.“ In ihrem Wohnort Veitshöchheim hat das Frauenpaar bislang „nie Probleme“ gehabt, die Menschen dort, auch ihre unmittelbaren Nachbarn, haben sie als „sehr aufgeschlossen“ erlebt. Auch die Teilnehmer eines Tanzkurses, an dem sie als erstes lesbisches Paar teilnahmen. „Das war sicher für den einen oder anderen komisch. Wir gehen jedoch sehr offen mit unserem Leben als Lesben um, wir verstecken uns nicht.“
Das fanden nicht alle gut und werden auch künftig sicher nicht alle akzeptieren. Gabriele Richter und Sigrid Kohm rechnen jetzt nach ihrem öffentlichen „Outing“ in dieser Zeitung mit Foto und Namensnennung durchaus mit „bösen Briefen oder Bemerkungen“. Unverständnis haben die Frauen bereits im Frühjahr 2002 erlebt, als sie zu ihrer Feier eingeladen hatten. Sie bekamen nicht nur freudige Zusagen, sondern auch einige fadenscheinige Absagen. „Das hat uns sehr enttäuscht.“
Bei ihren Eltern wird nicht groß über das Thema Lesbe gesprochen. „Sie haben es mehr oder weniger stillschweigend akzeptiert.“ Vielleicht auch, weil es ihnen schwerfällt, darüber zu reden. Zumal die Mutter von Gabriele, die in der Nähe von Bad Kissingen lebte, lange Zeit auf einen Schwiegersohn hoffen konnte. Doch als ihre Tochter ihre große Liebe Sigrid traf, spürte diese sofort, dass ihr die ganze Zeit bei ihren Beziehungen zu Männern etwas gefehlt hat.„Ich fühle mich einfach zu Frauen hingezogen.“ Diese Erkenntnis hat sie völlig umgeworfen. Damals ist es auch ihr schwergefallen, darüber mit anderen zu reden.
Heute freuen sich beide über ihr Glück, strahlen es aus – und leben es. „Wir verbringen 24 Stunden zusammen, das schafft nicht jede Beziehung“, freut sich Sigrid Kohm, die ihrer Lebensgefährtin bei den Büroarbeiten hilft, so gut sie es als Blinde in der Welt der Sehenden kann. Die beiden Frauen sind sich sicher: Nur der Tod könnte sie scheiden.
Homo-Ehe in Deutschland
Der diskriminierende Paragraf 175 verschwand 1994 aus dem Strafgesetzbuch. Seither ist Homosexualität nicht mehr strafbar. Das Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 macht es Schwulen und Lesben möglich, ihrer Beziehung einen rechtlichen Rahmen zu geben. In einigen Bereichen werden Lebenspartner in einer Homo-Ehe laut Bundesjustizministerium dennoch immer noch wie Ledige behandelt.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten 2010 bundesweit rund 23 000 gleichgeschlechtliche Paare als eingetragene Lebenspartnerschaft zusammen; 63 000 Paare gaben bei der Haushaltsbefragung (Mikrozensus) in diesem Jahr an, eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft zu führen. Text: CJ