Eine der vordringlichsten Aufgaben nach einem Beben ist es, aufzuräumen. Nicht anders war das am Dienstag im politischen Berlin, wo vor allem die Regierungsparteien um Normalität bemüht waren nach den Erschütterungen, die der Rücktritt von SPD-Chefin Andrea Nahles ausgelöst hat. Den Bürgerinnen und Bürgern im Land sollte gezeigt werden, dass die Regierung aus Union und SPD arbeitsfähig ist. Im Großen und Ganzen gelang das auch. So richtig durchatmen mochte im Regierungsviertel aber noch niemand. Vielen Abgeordneten sitzt die Angst vor einem Nachbeben im Nacken.
Dieser Tage hakt die übliche Routine in der Regierungskoalition, denn nach dem Nahles-Rückzug haben sich bei den Sozialdemokraten einige Krater aufgetan, die es erst noch zu füllen gilt. Man müsse angesichts der aktuellen Entwicklung deshalb zunächst „auf Sicht arbeiten“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
Mützenich leitet SPD-Fraktion
Ein Personalloch wurde am Dienstag in der SPD-Fraktion provisorisch gestopft. Andrea Nahles trat auch als Fraktionsvorsitzende zurück. Für sie übernahm der Kölner Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich als dienstältestes Vorstandsmitglied kommissarisch das Amt.
Die Personalie Nahles wirkte gleichwohl nach: Eigentlich hätten sich Ende kommender Woche die geschäftsführenden Fraktionsvorstände von Union und SPD zu einer Klausurtagung in Bad Neuenahr-Ahrweiler südlich von Bonn treffen sollen. Die rheinland-pfälzische Stadt liegt jedoch im Wahlkreis von Nahles, und da waren sich die Verantwortlichen nach einigen Beratungen einig, dass es nicht gut aussieht, wenn man sich im Dunstkreis der Unterlegenen zeigt. Die Klausur soll stattdessen in Berlin stattfinden.
Deutlich wurde, dass die Regierungsparteien – auch wenn es in den letzten Tagen nicht den Eindruck machte – ein ganz wichtiges Thema über die innenpolitischen Debatten nicht aus den Augen verloren haben. „Wir müssen mal dran denken, dass wir mit Blick auf Europa eine stabile Regierung brauchen“, brachte es Michael Grosse-Brömer (CDU), Unions-Fraktionsgeschäftsführer, auf den Punkt. Dobrindt sah das ähnlich. Deutschland müsse ja noch Manfred Weber als EU-Kommissionspräsidenten durchsetzen, mahnte er und ergänzte: „Das ist die zweite Runde der Europawahl.“
Klima ein großes Thema
Neben dem Koalitionsklima war das Klima in der Welt am Dienstag ein ganz großes Thema. Obwohl viele Auswertungen das so gar nicht hergeben, führen Union und SPD ihr schlechtes Abschneiden bei der Europawahl auf eigene Defizite bei der Umweltpolitik zurück. Der Unsicherheit über das weitere Vorgehen ist dabei die Erkenntnis gewichen, dass es keinen Sinn macht, die Grünen einfach so nachzumachen. „Wir werden die Grünen nicht kopieren, aber wir werden eine eigene Handschrift beim Klimaschutz haben“, betonte Dobrindt, der durchaus Chancen sah, dass die Union beim Thema Umwelt wieder Stimmen zurückgewinnt. Es gebe schließlich viele Gründe, sich fürs Klima zu interessieren „und nicht die Grünen wählen zu wollen“.
Dobrindt sprach sich in diesem Zusammenhang dafür aus, wieder mehr auf die eigene Expertise zu setzen. Das Auslagern politischer Elemente „an sogenannte Fachkreise ist falsch“, kritisierte er und meinte vor allem die Kohlekommission. „Es muss wieder mehr Entscheidung in die Politik“, forderte Dobrindt. Grosse-Brömer warnte davor, die Grünen zu überschätzen: „Zurzeit leben die Grünen ja noch von einer Erwartungshaltung und nicht von der Umsetzung praktischer Politik.“
Vor einem Platzen der Regierungskoalition warnte am Dienstag übrigens niemand, auch das Wort „Neuwahlen“ wurde vermieden.