„Ungewissheit“, „Instabilität“, „Regierungsfrage offen“, titelten die spanischen Tageszeitungen am nächsten Morgen. Die Spanier wählten zwar ein neues Parlament. Und sie verhalfen zwei neuen Protestparteien zum triumphalen Einzug ins Abgeordnetenhaus. Doch die Kammer ist wie noch nie zersplittert und ohne klare Mehrheit. Weswegen der Stuhl des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy wackelt und das Feilschen um Mehrheiten begann. Erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur in den 70er Jahren endete in Spanien eine Wahl ohne Perspektive auf eine stabile Regierung.
Angesichts dieser düsteren Aussichten fiel die geplante Jubelfeier vor der konservativen Parteizentrale in der Hauptstadt Madrid aus. Rajoy ließ eine kleine Schar von Anhängern in der Wahlnacht ziemlich lange warten, bevor er dann doch mit Trauermiene auf den Balkon trat. „Wir haben eine schwierige Etappe vor uns“, warnte Rajoy. Aber er wolle trotzdem „versuchen, eine Regierung zu bilden“. Ein letztes schwaches Winken, dann verschwand er wieder.
Rajoys konservative Volkspartei (PP) verlor ein Drittel ihrer Parlamentssitze, damit auch die absolute Mehrheit und stürzte auf 28,7 Prozent. Damit sind Rajoys Konservative zwar noch stärkste Partei. Aber zum Regieren reicht es nicht – ein Partner ist nicht in Sicht.
Nicht nur die regierenden Konservativen wurden heftig abgestraft. Auch die zweite große Traditionspartei, die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) mit ihrem Spitzenmann Pedro Sánchez, erlebte ein Debakel. Die Sozialisten, die sozialdemokratisch ausgerichtet sind, fielen von 29 Prozent im Jahr 2011 auf schlappe 22 Prozent – das schlechteste Ergebnis der vergangenen 40 Jahre. Trotzdem werden Sánchez Chancen eingeräumt, eine Mitte-links-Koalition mehrerer Parteien anzuführen. Da sich doch eine knappe Übermacht jener abzeichnet, die unter allen Umständen Rajoys Regierungszeit beenden wollen.
Podemos feierte
Bei dieser neuen Mehrheit könnte die neue linksalternative Protestpartei Podemos („Wir können“) eine entscheidende Rolle spielen. Die von Pablo Iglesias angeführte Bewegung kam auf Anhieb auf knapp 21 Prozent. Das bedeutet ein dritter Platz dicht hinter den Sozialisten. Entsprechend feierte Podemos eine Wahl-Fiesta und Parteichef Iglesias jubelte nach seinem Triumph: „Heute ist ein neues Spanien geboren worden.“
Jahrzehntelang hatten Konservative und Sozialisten zusammen gut 80 Prozent der Stimmen hinter sich. Nun bekamen diese früheren Platzhirsche, die von vielen Spaniern für die Wirtschaftskrise und immer neue Finanzskandale verantwortlich gemacht werden, die Rote Karte. Sie werden nun nur noch von etwa der Hälfte der Wähler gestützt.
Ciudadanos, die politisch noch am ehesten mit den Konservativen Berührungspunkte hat, will Rajoy, der durch Korruptionsskandale belastet ist, jedoch nicht unterstützen. Diese Bürgerplattform, die sich die „demokratische Erneuerung“ auf die Fahnen schrieb, kam aus dem Stand auf achtenswerte 13,9 Prozent. Dies würde aber ohnehin nicht ausreichen, um Rajoy die absolute Mehrheit zu verschaffen.
Zudem kündigte Ciudadanos am Montag an, sich bei der Parlamentsabstimmung über den Regierungschef enthalten zu wollen. Ciudadanos-Chef Albert Rivera forderte derweil die Sozialisten auf, eine Regierung der Konservativen nicht zu blockieren. „Spanien darf nicht zulassen, dass es zu einem zweiten Griechenland wird. Wir dürfen kein chaotisches Land werden“, sagte er. Doch die Sozialisten lehnen eine Tolerierung Rajoys oder auch eine Große Koalition ab.
Somit zeichnet sich als wahrscheinlichster Ausweg ein Mitte-links-Pakt ab. Bei dem müssten dann aber für eine absolute Mehrheit neben den Sozialisten und Podemos auch noch regionale Parteien mitmachen, etwa aus dem abdriftenden Katalonien. Und die katalanischen Unabhängigkeitsparteien werden ihre Zustimmung sicher teuer verkaufen. Sollte der Preis für einen Linksruck zu hoch werden und alle Koalitionsverhandlungen scheitern, dann sieht die Verfassung auch noch einen anderen Ausweg vor: Neuwahlen.