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KIEW
Ukraine schart sich um Klitschko
dpa
 |  aktualisiert: 24.05.2022 09:40 Uhr

Bei erneuten Massenprotesten in Kiew haben mehrere Zehntausend empörte Ukrainer für einen Rücktritt der Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch demonstriert. Auf Plakaten und in Sprechchören forderten die Anhänger der proeuropäischen Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko am Sonntag sofortige Neuwahlen in der früheren Sowjetrepublik. Bei eisigen Temperaturen auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) der Hauptstadt schwenkten die Demonstranten auch EU-Fahnen und sangen die ukrainische Hymne. Aus Protest gegen den prorussischen Kurs der Regierung haben die Demonstranten sogar die zentrale Lenin-Statue gestürzt.

Die Opposition gab die Zahl der Teilnehmer zunächst mit mindestens 500 000 an. Beobachter sprachen von etwa 100 000 Menschen kurz nach Beginn der Kundgebung. Mit der Demonstration unter dem Motto „Marsch der Million“ wollen die Regierungsgegner nach mehr als zweiwöchigen Protesten neuen Druck auf die prorussische Führung ausüben.

Janukowitsch hatte ein Abkommen über eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union gestoppt und zuletzt mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin über billigere Gaslieferungen verhandelt. Das Innenministerium in Kiew warnte vor „Provokationen“ gegen die Sicherheitskräfte. Ausschreitungen würden streng bestraft. Die Popsängerin Ruslana rief die Demonstranten in Europas zweitgrößtem Flächenstaat zum Durchhalten auf. „Der Maidan ist heute nicht nur ein Platz der Unabhängigkeit, sondern auch ein Platz der Hoffnung“, sagte die Siegerin des Eurovision Song Contests von 2004 („Wild Dances“).

Klitschko hatte die Regierungsgegner am Vorabend noch einmal zu einer regen Teilnahme aufgerufen. „Mehr als eine Million Menschen müssen Präsident Viktor Janukowitsch klarmachen, dass er unsere Bedingungen erfüllen muss“, sagte der 42-Jährige. Dazu gehöre auch die Freilassung der inhaftierten Politikerin Julia Timoschenko. „Wer nicht in einem Polizeistaat leben will, sondern in einem modernen Land, sollte nicht gleichgültig bleiben“, betonte Klitschko. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Gruppe der konservativen Parteien in der EU (EVP) wollen Klitschko dem Magazin „Der Spiegel“ zufolge durch gemeinsame Auftritte stärken. Geplant sei, den Boxer zum Oppositionsführer und Gegenkandidaten von Präsident Janukowitsch aufbauen, hieß es. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Dem Bericht zufolge ist geplant, dass Klitschko beim nächsten Treffen der EVP-Staats- und Regierungschefs in Brüssel Mitte Dezember auftritt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Gruppe der konservativen Parteien in der EU (EVP) wollen nach einem Bericht des „Spiegels“ den ukrainischen Oppositionspolitiker Vitali Klitschko durch gemeinsame Auftritte stärken. Man wolle den Profiboxer offensichtlich zum Oppositionsführer und Gegenkandidaten von Präsident Viktor Janukowitsch aufbauen, berichtet das Nachrichtenmagazin unter Berufung auf Kreise der Bundesregierung und der EVP. Eine Bestätigung dafür war am Sonntag zunächst nicht zu erhalten.

Dem Bericht zufolge ist geplant, dass Klitschko beim nächsten Treffen der EVP-Staats- und Regierungschefs in Brüssel Mitte Dezember in der Runde auftritt und auch ein Gespräch mit Kanzlerin Merkel bekommt. Zudem soll es einen gemeinsamen Auftritt für die Öffentlichkeit geben. Parallel erhält Klitschkos Partei Udar laut „Spiegel“ derzeit logistische Unterstützung von der EVP und der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU, unter anderem durch Schulungen für Udar-Parlamentarier und deren Mitarbeiter. Zuletzt hatten sich Merkels außenpolitischer Berater Christoph Heusgen, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und Außenminister Guido Westerwelle zu zum Teil vertraulichen Gesprächen mit Klitschko getroffen. Der Europaabgeordnete Elmar Brok von der EVP hatte die ukrainische Führung erst am Vortag bei einem Auftritt in Kiew zu einem europäischen Kurs aufgefordert. „Herr Präsident Viktor Janukowitsch, hören Sie auf Ihr Volk!“, hatte Brok appelliert. Der polnische Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski warf der EU Naivität vor im Umgang mit der Ukraine. Bereits seit Sommer sei klar gewesen, dass Russland das Assoziierungsabkommen zwischen Brüssel und Kiew torpedieren werde, sagte Kwasniewski dem „Spiegel“. Der Westen habe die Entschlossenheit von Kremlchef Putin unterschätzt – er habe aber auch das unterschätzt, was sich in Kiew abspiele. Die Führung um Präsident Janukowitsch habe keine Strategie und wolle nur überleben.

Bürgerfernsehen – live im Internet

Nachrichten, Interviews, Liveberichte von der Straße – zeitgleich mit den Protesten in Kiew geht in der Ukraine ein neuer Polit-TV-Sender im Internet online: Hromadske.tv („Bürgerfernsehen“). In den ersten Tagen wackelt das Bild noch, und der Ton ist verzerrt. Aber den Machern in der Ex-Sowjetrepublik geht es in erster Linie um authentische Berichte, nicht um Perfektion. Ob Korruption oder Anti-Regierungsproteste: All das, was die unter staatlichem und kommerziellem Druck stehenden Medien verschweigen, will Hromadske.tv zeigen. Vorbilder seien ARD und BBC, heißt es. Die bisherigen Quoten geben den knapp 50 Journalisten recht, die meist noch für andere Medien arbeiten. Das anfänglich mit Spenden finanzierte Budget soll mit Werbeeinnahmen von etwa 42 000 Euro auf rund 2,1 Millionen Euro steigen. Text: dpa

 
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