Der angekündigte russische Truppenabzug von der Grenze zur Ukraine lässt auf sich warten. Der Nato liegen bislang keine Hinweise dafür vor. Die prorussischen Aktivisten in der Ostukraine machen derweil die Rücknahme der EU-Sanktionen zur Voraussetzung für die Freilassung festgesetzter Militärbeobachter, zu denen auch vier Deutsche gehören.
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte während eines Telefonats mit seinem US-Kollegen Chuck Hagel gesagt, die Truppen seien abgezogen worden. Grund dafür sei die Beteuerung aus Kiew gewesen, die ukrainische Armee „nicht gegen unbewaffnete Zivilisten“ im Osten des Landes einzusetzen.
Ein Nato-Diplomat sagte jedoch der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag, derzeit gebe es keine Informationen, „die auf einen Abzug russischer Truppen von der ukrainischen Grenze hindeuten“. Das Bündnis fordere Russland „weiterhin auf, gemäß der Vereinbarung von Genf zugunsten von Diplomatie und Dialog alle Truppen entlang der ukrainischen Grenze abzuziehen“. Die Nato hatte am 10. April Satellitenbilder aus dem Grenzgebiet veröffentlicht und von 35 000 bis 40 000 dort stationierten russischen Soldaten gesprochen.
Der Westen wirft Russland vor, sich einer Umsetzung der Genfer Vereinbarungen zu verweigern und die Krise in der Ukraine anzufachen. Die Europäische Union und die USA hatten daher am Montag eine Ausweitung der bislang verhängten Strafmaßnahmen beschlossen.
Die neuen Einreiseverbote und Kontensperrungen der EU richten sich unter anderen gegen Russlands Vize-Ministerpräsidenten Dmitri Kosak und Generalstabschef Waleri Gerassimow, wie aus der am Dienstag im Amtsblatt der EU veröffentlichten Namensliste hervorging.
Russland kritisierte die Maßnahmen. Wenn die EU hoffe, auf diese Weise die Lage in der Ukraine zu stabilisieren, dann zeige sie damit eigentlich nur eine völlige Unkenntnis der innenpolitischen Situation in der Ex-Sowjetrepublik, teilte das Moskauer Außenministerium mit.
Nach den neuen Sanktionen zeichnet sich keine rasche Freilassung der festgehaltenen Militärbeobachter ab. „Wir kehren erst zu einem Dialog über den Status der Kriegsgefangenen zurück, wenn die EU diese Zwangsmaßnahmen zurücknimmt“, sagte der selbst ernannte Bürgermeister der Stadt Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, der Agentur Interfax.
Die Bundesregierung trat Spekulationen über einen Einsatz des Bundeswehr-Kommandos Spezialkräfte (KSK) zur Befreiung der Beobachter entgegen. Das KSK sei „weder alarmiert noch in irgendeiner Weise mit der Lage in der Ukraine beauftragt worden“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin. Er widersprach damit einem Bericht der „Bild“-Zeitung. Die Große Koalition aus Union und SPD verlangte nach einer Klausurtagung von Russland mehr Bemühungen zur Freilassung der Männer.
Wjatscheslaw Ponomarjow
Den Wortführer der Separatisten, den 48 Jahre alten Wjatscheslaw Ponomarjow aus der ostukrainischen Großstadt Slawjansk, hat bis vor kurzem kaum jemand gekannt – und schon gar nicht in der Weltpolitik. Doch seit der selbst ernannte „Volksbürgermeister“ der 120 000-Einwohner-Stadt jetzt deutsche Militärbeobachter und andere Ausländer in seiner Gewalt hat, muss sich nun sogar die internationale Politik mit dem prorussischen Separatisten befassen. Selbstbewusst fordert der frühere Geschäftsmann, der am 2. Mai 1965 – noch zu tiefsten Sowjetzeiten – in Slawjansk zur Welt kam, die EU auf, ihre Sanktionen gegen ukrainische und prorussische Funktionäre zurückzunehmen. Ansonsten wolle er die Gefangenen nicht freilassen. Erst Mitte April hatte Ponomarjow die politische Bühne betreten. Der untersetzte Mann tritt gern bürgernah in einer schwarzen Trainingsjacke auf. Dass an seiner linken Hand Zeige- und Mittelfinger und im Mund mehrere Zähne fehlen, werteten Beobachter als Zeichen eines bewegten Lebens. Nach dem Dienst in der Sowjetarmee und der Marine handelte er auch mit Autos und Immobilien. FOTO: dpa