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SAATARI
Überleben im Niemandsland
Geflohen aus Aleppo: Baschar mit seinem kleinen Sohn, der noch keine drei Monate alt ist.
Foto: dpa | Geflohen aus Aleppo: Baschar mit seinem kleinen Sohn, der noch keine drei Monate alt ist.
Von dpa-Korrespondent Christoph Sator
 |  aktualisiert: 09.09.2012 19:23 Uhr

Auf den meisten Karten sucht man Saatari noch vergebens. Kein Wunder: Vor anderthalb Monaten war das hier noch Niemandsland zwischen Jordanien und Syrien, ein furchtbar ödes Stück Erde, über das die Sandstürme hinwegfegen. Heute leben in Saatari 30 000 Menschen – alles Flüchtlinge aus Syrien, die Zuflucht gesucht haben vor der Gewalt, die in ihrer Heimat kein Ende mehr nehmen will. Schlimmer als dort kann es hier in der Wüste nicht sein.

Baschar war einer der ersten von ihnen. Mit seiner Frau und den fünf Kindern kam er Anfang August aus Aleppo – der Stadt, in der sich Anhänger und Gegner des Machthabers, der den gleichen Vornamen trägt wie er, besonders schlimm bekriegten. Der jüngste Sohn Ahmed war damals gerade einmal dreieinhalb Wochen alt. „Wir haben das einfach nicht mehr ausgehalten“, sagt der bärtige Mann in den verdreckten Kleidern. Seinen Nachnamen behält er lieber für sich.

Seither lebt die Familie in einem der mehreren Tausend weißen Zelte, die hier auf 25 Quadratkilometern Wüste hochgezogen wurden, auch mit Hilfe des Technischen Hilfswerks (THW). Wie viele es inzwischen sind, weiß keiner genau. „Jeden Tag kommen etwa 250 Zelte und 30 Toiletten hinzu“, sagt THW-Mann Peter Kussmaul. Nur wer viel Glück hat, findet Unterkunft in einem Container.

„Jeden Tag kommen etwa 250 Zelte und 30 Toiletten hinzu.“

THW-Mann Peter Kussmaul im Flüchtlingslager Saatari

Jeder Neuankömmling bekommt das Gleiche: eine Matratze, eine Decke, einen Eimer, einen Wasserkanister und einen Gebetsteppich. Dazu einen Karton mit dem Allernötigsten wie Seife und Zahnpasta. Pro Kopf gibt es 50 Liter Wasser pro Tag. Auch die Essensversorgung ist einigermaßen geregelt. Aber sonst bleiben die Flüchtlinge – die Hälfte davon Kinder – sich selbst überlassen.

Mehrfach gab es schon Krawalle. Mehrere Hundert Flüchtlinge wurden deshalb dazu gebracht, „freiwillig“ nach Syrien zurückzukehren. Man hat eine Vorstellung, was das bedeuten kann. Die größte Sorge ist jedoch, dass der Flüchtlingsstrom kein Ende nimmt. Bis zum Jahresende soll das Lager bis zu 80 000 Menschen Platz bieten. „Logistisch ist das zu packen“, sagt Andrew Harper vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Aber welche Zustände dann herrschen, will sich der Australier lieber nicht vorstellen.

Hinzu kommt, dass nun auch in Jordanien die Temperaturen sinken. In einigen Wochen wird auch in der Wüste die Null-Grad-Grenze erreicht. Deshalb soll das Lager nun „winterfest“ gemacht werden, mit Warmwasser-Stellen, Öfen und Zelten mit dickeren Planen. „Uns läuft die Zeit davon“, klagt Harper. „Und das Geld geht uns aus.“

Die Aufforderung richtet sich ziemlich direkt an Guido Westerwelle, der gemeinsam mit seinem jordanischen Kollegen Nasser Dschudeh für eine Stunde zu Besuch ist. Der deutsche Außenminister kommt dann auch recht schnell zur Sache. Nach einem Dank an Jordanien, das trotz eigener Probleme insgesamt schon mehr als 100 000 Syrer aufgenommen hat, verspricht Westerwelle zwei Millionen Euro zusätzlich für das Lager. Alles in allem summiert sich die deutsche Hilfe für Syrien-Flüchtlinge nun auf 24 Millionen.

Westerwelle spricht ebenfalls davon, dass das Lager „winterfest“ gemacht werden muss – auch eine Art, um zuzugeben, dass man kein baldiges Ende von Machthaber Baschar al-Assad erwartet. „Was wir hier sehen, bewegt das Herz“, sagt Westerwelle noch. „Das sind Schicksale, keine Nummern und Statistiken.“ Und eigentlich will er dann auch schon wieder gehen.

Wäre da nicht ein solches Schicksal in Person: Baschar, der Mann aus Aleppo, hat seinen jüngsten Sohn auf dem Arm und es irgendwie geschafft, an der Entourage der Minister vorbeizukommen. „Mein Kind“, sagt er nur und streckt Westerwelle den kleinen Ahmed entgegen. „Vor drei Wochen hat er fast sechs Kilo gewogen. Jetzt sind es noch drei.“ Die Beinchen, die aus dem Strampelanzug mit Bärchenmotiv ragen, sind erschreckend dürr.

Westerwelle muss schlucken, drückt den Syrer zwei Mal an der Schulter, wünscht Glück. Dann dreht er sich um und geht. Baschar lässt noch ein Foto von sich machen. Dann verschwindet auch er.

Im Staub von Saatari: Außenminister Guido Westerwelle (links) mit seinem jordanischen Amtskollegen Nasser Dschudeh.
Foto: rtr | Im Staub von Saatari: Außenminister Guido Westerwelle (links) mit seinem jordanischen Amtskollegen Nasser Dschudeh.
 
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