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Überalterte Freundschaft
Politik: Die transatlantischen Beziehungen waren schon einmal besser. In den USA gibt es einige Institutionen, die diese Entwicklung beobachten. Auch in Deutschland warnen Experten vor der Entfremdung. Wie wichtig ist eine bessere Verständigung?
Deutsch-amerikanische Beziehungen: Deutsche und amerikanische Fähnchen zu schwenken – das gehört alle Jahre im September zur Tradition der Steuben-Parade in New York. Doch rechte Begeisterung über die Beziehungen will nicht mehr aufkommen.
Foto: Chris Melzer, dpa | Deutsch-amerikanische Beziehungen: Deutsche und amerikanische Fähnchen zu schwenken – das gehört alle Jahre im September zur Tradition der Steuben-Parade in New York.
reda
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:13 Uhr

Die Musik scheppert durch die Häuserschluchten, die Wagen schlängeln sich im Schneckentempo die Fifth Avenue entlang. Die Lücken zwischen den Gruppen sind so groß, dass keine rechte Stimmung aufkommen will. Am Straßenrand haben sich trotzdem ein paar Schaulustige eingefunden. Touristen, die unbedingt einmal dabei sein wollen und Amerikaner mit deutschen Wurzeln, die in ihre Vergangenheit reisen - oder in die ihrer Eltern. Unverzagt wedeln sie mit ihren Flaggen in Schwarz-Rot-Gold. Jedes Jahr im September bei der Steuben-Parade in New York ist das so. Benannt ist sie nach dem preußischen Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben, der zum Helden des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges wurde.

Die Prominenz der früheren Jahre lässt sich allerdings nicht mehr blicken. Seit 57 Jahren schon organisieren die Deutschamerikaner den Umzug entlang des Central Parks. Donald Trump, der amerikanische Immobilien-Tycoon, soll einmal gewitzelt haben: „Die Steuben-Parade ist die einzige Parade New Yorks, bei der die Straßen anschließend sauberer sind als vorher.“ Und in der Tat geht es so gesittet zu wie beim Tanztee von Omi. Ohne Konfetti, ohne Luftschlangen, ohne glitzernden Fitzelkram, der sich doch nur im Asphalt festfrisst. Stattdessen winken die Frauen und Männer etwas steif in die Menge, die meisten haben sich in Tracht gekleidet. Der Himmel: weiß-blau. Die Haarfarbe des Tages: grau.

Europa ist weit weg

Die Traditionsverbände wie der „Plattduetsche Volksfest Vereen von Brooklyn“ sind völlig überaltert. Einer der geschmückten Anhänger trägt das Schild „Fritz Reuter Altenheim“. Sollte die Parade also ein Symbol für die deutsch-amerikanischen Beziehungen sein - das Zeichen wäre desaströs.

Schon seit Jahren lamentiert die deutsche Öffentlichkeit über die kriselnde transatlantische Freundschaft. Einerseits. Andererseits erwächst in der Mitte der Gesellschaft ein Antiamerikanismus, wie ihn Deutschland lange nicht mehr gekannt hat. Das Freihandelsabkommen TTIP. Die Rolle der USA in internationalen Konflikten. Die Spitzeleien der NSA. Fast schon notorisch ist die emotionale Solidarität vieler Deutscher mit all jenen geworden, die sich als Gegner der USA verstehen – die Zahl der Putin-Versteher korreliert mit jener der Obama-Kritiker.

Amerikas Öffentlichkeit bekommt nur wenig von dem mit, woran sich die Deutschen wieder und wieder abarbeiten. Europa ist weit weg – gefühlt sogar noch weiter, seit die USA die meisten ihrer Soldaten aus Germany abgezogen haben. „Früher war die Arbeiterklasse als GI in Deutschland stationiert, die brachten ihre Familien mit“, sagt Frances G. Burwell, Vizepräsidentin der renommierten amerikanischen Denkfabrik Atlantic Council. „Das war wie ein Austauschprogramm.“ Heute spitze sich das Interesse der Amerikaner auf Themen zu, die sie entweder selbst betreffen oder die schlicht übermächtig sind wie der IS-Terror. „Aber was dazwischenliegt, geht in der öffentlichen Debatte unter“, sagt Burwell. Arbeitslosigkeit, Zuwanderung, die wirtschaftliche Perspektive - Probleme haben die Amerikaner schließlich selbst genug.

Ein paar Straßenzüge von Burwells Büro entfernt liegt der Sitz des German Marshall Fund. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die transatlantischen Beziehungen am Leben zu erhalten und zu stärken. Die Herausforderung war schon mal kleiner. Das Haus ist eines dieser typischen Gebäude in Washingtons nobler Wohngegend. Besucher werden auf einer Freitreppe mit Säulen empfangen, in den Konferenzräumen gibt es gigantische Kamine. Über einem Sims hängt ein Bild, das Konrad Adenauer mit John F. Kennedy zeigt.

Der Marshall Fund (GMF) wurde 1972 durch eine Schenkung durch die Bundesrepublik Deutschland als Dank an die Bevölkerung der USA und als beständige Erinnerung an den Marshallplan gegründet. Es war die Zeit, als Amerika so etwas wie die Schutzmacht der Deutschen war und die sich das gerne gefallen ließen. Das Pathos ist gewichen. Stattdessen zeigen auch die Untersuchungen der Stiftung, dass die Deutschen die USA so kritisch sehen wie lange nicht mehr. Nur noch 58 Prozent der Bundesbürger haben eine positive Meinung von den Vereinigten Staaten. Überraschend ist die Entwicklung für die GMF-Analysten nicht, die enttäuschte Liebe schwelt schon länger und an Turbulenzen mangelt es nicht.

„Eigentlich sollte doch das geplante Freihandelsabkommen einen positiven Effekt auf das transatlantische Verhältnis haben - aber es scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein“, sagt Peter Sparding vom GMF. Doch würde das Abkommen mit dem Namen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) tatsächlich scheitern, wäre das seiner Meinung nach ein fatales Signal mit spürbaren Folgen. China und Russland würden sich die Hände reiben bei einem neuen Riss zwischen Europa und den USA. Über Inhalt und Zeitraum würde Sparding zwar keine Wetten abschließen, aber dass das Abkommen besiegelt werden muss, das steht für ihn außer Frage. Im Interesse beider Kontinente.

Keine diplomatischen Worthülsen

Er ist nicht der Einzige, der so denkt. „Die deutsch-amerikanische Partnerschaft ist eine der erfolgreichsten der Geschichte“, sagt William Drozdiak, Direktor des American Council on Germany. Die zu gefährden, hätte sowohl für Washington als auch für Berlin weitreichende Folgen. Deutschland gilt den USA als Stabilitätsanker in Europa, weil es mit allen Nachbarn gute Beziehungen pflegt. Anders als Russland, das seine Anrainer bewusst destabilisiere, um die eigene Stärke zu steigern. Kanzlerin Angela Merkel als größte Einflussnehmerin auf den als unberechenbar geltenden Wladimir Putin – die Erwartungen sind glasklar und werden gar nicht erst in diplomatische Worthülsen gepackt. „Die Worte von Bundespräsident Joachim Gauck wurden hier sehr genau gehört“, sagt Drozdiak. Er kennt die deutschen Befindlichkeiten, als Korrespondent der Washington Post, war er lange in Berlin und Paris im Einsatz. Heute ist seine Tochter Journalistin und arbeitet in Frankfurt.

Deutschland – dieser Eindruck scheint in den USA entstanden zu sein – ist eine Friedensgesellschaft geworden. Doch auch in den USA schwindet die Bereitschaft zur militärischen Lösung. Zwar will die amerikanische Öffentlichkeit ihr Land nach wie vor als stolze Führungsmacht sehen. Aber Krieg? Lieber nicht. Nur nichts zu tun, das sei aber keine Option. Dass sich Deutschland gerne aus internationalen Konflikten heraushält, sorgt im Weißen Haus für Frustration. Deutschland als Trittbrettfahrer der internationalen Sicherheit, das sich gerne als Friedensengel inszeniert und andere die Drecksarbeit machen lässt, das mag man nicht länger hinnehmen. Schon gar nicht, da Deutschland als wirtschaftlicher Kraftprotz im kränkelnden Europa erkannt wird und trotzdem bei Investitionen in die Bundeswehr knausert. „Aber die Welt braucht eine Koalition der Willigen, schon deshalb, weil das Konzept der schwerfälligen UN nicht mehr funktioniert“, sagt William Drozdiak.

Einfacher wird es aber auch für die USA in den nächsten Jahren nicht, sich zu weitreichenden Entscheidungen durchzuringen. Barack Obamas krachende Niederlage bei den Kongresswahlen wird die Politik der Vereinigten Staaten verändern - es wird sie ausbremsen. Wenn Obama in seiner Führungskraft weiter geschwächt wird, dürften die Ansprüche an die Europäer steigen. Und in der EU gelten die Deutschen derzeit eben als wichtigste Größe - ein bisschen lahm zwar, eben wie die Steuben-Parade, aber auch gründlich. Der USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Josef Braml, warnt schon länger vor einer neuen „Welt-Unordnung“. „Diejenigen, die sich freuen, dass es Amerika schlecht geht, sollten erkennen, dass das Riesenprobleme für uns verursachen wird.“ Mit Blick auf die Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik sagt Braml: „Wir werden sehr viel Gelegenheit haben, die Rhetorik in Taten umzusetzen. Die Ukraine zum Beispiel ist kein Problem der USA, sondern unser Problem.“

Doch es gibt auch die gegenteilige Meinung. William Drozdiak etwa glaubt, dass sich Obama, da er innenpolitisch kaum mehr etwas ausrichten kann, künftig auf die Außenpolitik konzentrieren könnte. Beispiele aus der amerikanischen Geschichte gibt es hierfür genug. Auch Ronald Reagan folgte diesem Muster: Im eigenen Land eine lahme Ente, im Ausland der stolze Adler. Amerika als Schutz- und Trutz-Macht der Welt hat also längst nicht ausgedient. An den Mythos vom allmächtigen Amerika glauben eben nicht nur viele Amerikaner selbst gerne, sondern auch ein großer Teil des Restes der Welt. Doch die Erfolge lassen sich immer schwieriger erkämpfen. Mit dem Nahen Osten und Russland hat der US-Präsident derzeit zwei politische Baustellen, auf denen er Geschick und Muskeln zeigen könnte. Allerdings ist er gerade dort bislang als eher zögerlich aufgefallen. Auch im Umgang mit der Ebola-Epidemie zauderte der Präsident -– die Republikaner hatten Einreiseverbote gefordert und damit die Angst im Land bedient.

Transatlantische Ehekrise

Polarisierung ist das Schlagwort, das Politikexperten aus den USA deutlich mehr umtreibt als die transatlantische Ehekrise. Der ideologische Riss ist tief, seit den 90er Jahren ist er kontinuierlich gewachsen. Um Wählerstimmen und Aufmerksamkeit abzugreifen, rückten vor allem die Republikaner immer weiter nach rechts. Was die Deutschen irritiert, zieht in den Staaten: Der weiße Mittelstand fühlt sich in seinem Wohlstand gefährdet und orientiert sich an jenen, die mit ihm von früher träumen. Extreme Ausmaße nimmt die Polarisierung in jenen Wahlkreisen an, die als sicher für die jeweilige Partei gelten. Die Folge ist nämlich, dass sich die Kandidaten nicht mit dem politischen Gegner messen, sondern sich vom Mitbewerber aus dem eigenen Lager absetzen müssen. Doch genau das ist im politischen System der USA nicht vorgesehen. Das setzt auf den Ausgleich. Doch der Kompromiss bleibt aus.

Der langjährige Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit, Karsten Voigt (SPD), meint: „Man muss leider befürchten, dass sich die Polarisierung auch in der Außenpolitik niederschlägt.“ Klar ist ihm auch, dass sich Deutschland mit einer Rolle als Überall-Vermittler bei einem Ausfall Amerikas überfordern würde. Voigt sagt: „Wer glaubt, dass wir die USA auch nur in irgendeiner Rolle ersetzen können, der irrt. Die Vereinigten Staaten sind eine Macht. Wir sind ein Mächtchen.“

Sechs Irrtümer über die USA

Amerika hat nur zwei Parteien: In der öffentlichen Wahrnehmung der Deutschen sind die USA ein Zweiparteiensystem mit Republikanern und Demokraten. Tatsächlich aber gibt es in Amerika eine Vielzahl von Parteien - nur haben die so wenige Wähler, dass ihr Einfluss gering ist. Von Bedeutung sind die Grünen und die Liberalen, zudem gibt es Organisationen, die in den Regionen stark sind. Der Grund für die Stärke der beiden großen Parteien ist das Mehrheitswahlrecht, das nur einen Sieger kennt.

Obama ist der erste hochrangige schwarze Politiker: Barack Obama ist der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten. Doch schon vor ihm haben es Schwarze in hohe Staatsämter geschafft. Colin Powell und Condoleezza Rice sind zwei Beispiele dafür. Beide waren im (republikanischen) Kabinett von George W. Bush nacheinander Außenminister. Zwar sind Schwarze in Führungspositionen noch immer stark unterrepräsentiert, doch eine schwarze Mittelschicht wächst kontinuierlich heran.

Amerikaner interessieren sich nicht für das Ausland: Es ist richtig, dass Auslandsthemen nicht wahlentscheidend sind. Aber auch den Deutschen ist die Pkw-Maut näher als der Umgang mit dem Iran im Atomstreit. Im Zuwanderungsland USA gibt es unzählige Organisationen, die sich mit internationalen Beziehungen beschäftigen. In Washington haben hunderte ausländische Lobbygruppen Stellung bezogen, im Außenministerium beschäftigt sich ein eigenes vierköpfiges Referat mit Deutschland.

Die Amerikaner wissen nicht einmal, wo Deutschland liegt: Deutschamerikaner, also Amerikaner mit deutschen Wurzeln, stellen in den USA mit 42,8 Millionen Menschen (15,2 Prozent) die größte Bevölkerungsgruppe, gefolgt von den Amerikanern irischer (10,8 Prozent), afrikanischer (8,8) und englischer (8,7) Herkunft. Das hat die Volkszählung im Jahr 2000 ergeben. Viele amerikanische Nachnamen haben erkennbar einen deutschen Ursprung, im Bundesstaat Arkansas gibt es eine Stadt Stuttgart.

Den Amerikanern ist die Überwachung egal: Die Debatte darüber, wie weit die Befugnisse der NSA reichen sollten, wird mitnichten nur in Berlin geführt. Der Grat zwischen Kontrolle und Sicherheitspolitik ist auch nach dem Empfinden der Amerikaner schmal. Doch es sind eben die USA, die immer wieder ins Visier von Terroristen geraten. Es gehört zu den größten Missverständnissen zwischen Deutschland und den USA, dass die inneramerikanischen Diskussionen ausgeblendet werden.

Amerika will uns das Freihandelsabkommen aufzwingen: Wer in den USA die Abkürzung TTIP für die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ benutzt, wird mit großen Augen angeschaut. Das liegt daran, dass das Thema in den USA ganz und gar nicht oben auf der Agenda steht. Die US-Wirtschaft orientiert sich in Richtung Asien, das Asien-Pazifik-Freihandelsabkommen hat mehr Gewicht. „Pivot to Asia“ wird dieser Kurs genannt: Einschwenken auf Asien. Text: huf/az

 
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