zurück
BRÜSSEL
Tumulte im EU-Parlament
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 10.07.2016 03:06 Uhr

Siegessicher lächelt Nigel Farage an diesem Dienstagmorgen. Der 52-jährige Chef der britischen Ukip-Partei weiß, dass man ihm als einem der Väter des Brexit die Schuld an dem Desaster geben wird. Und dennoch genießt er sichtlich den Triumph, seinen Platz im Europäischen Parlament einnehmen zu können, das wenig später über die Konsequenzen des Referendums im Vereinigten Königreich diskutiert.

Diskutieren? Streiten? Die Zeit der Zurückhaltung ist vorbei. „Ich bin überrascht, dass Sie hier sind. Sie haben für den Austritt gekämpft, die Bürger haben dafür gestimmt. Warum sind Sie hier?“, fragt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Briten in seiner Rede unter dem Applaus der Abgeordneten. Farage selbst lässt dann ebenfalls keine Möglichkeit zur Attacke aus. Als er den Parlamentskollegen vorwirft, „von Ihnen hat ja noch niemand richtig gearbeitet oder einen ordentlichen Job gehabt“, brechen Tumulte aus.

Schulz greift ein

Parlamentschef Martin Schulz muss eingreifen und beruhigt die Abgeordneten mit den Worten: „Sie benehmen sich wie sonst die Ukip-Vertreter.“ Und er rüffelt den Briten ziemlich direkt mit den Worten: „Schließen Sie nicht von sich auf andere.“ Der Vorwurf sitzt und wird Minuten später noch einmal aufgewärmt. „Als ich vor 17 Jahren in dieses Parlament gekommen bin und gesagt habe, dass ich den Brexit vorbereite, haben Sie alle gelacht. Heute lacht keiner mehr“, beginnt Farage stolz seine Rede. Doch das bringt ihm nur einen weiteren Angriff seines Abgeordnetenkollegen ein, der ihm vorwirft: „Sie lassen sich seit 17 Jahren von der Gemeinschaft bezahlen, mit der sie nichts mehr zu tun haben wollen.“

Das stimmt: Farage bezieht wie alle Europaabgeordneten monatliche Grundbezüge von 8213 Euro plus einer pauschalen Spesenvergütung von 4320 und einer Sekretariatszulage von 23 392 Euro sowie 306 Euro für die Teilnahme an jeder Plenarsitzung. Doch wer gehofft hatte, der frühere Investment-Banker würde an diesem Dienstag sein Mandat abtreten, sah sich enttäuscht. Zumindest öffentlich sagt der Brite, der mit einer Deutschen verheiratet ist, nichts dazu.

Kein Wunder, dass sich das Abgeordnetenhaus mit Hochachtung und langem Applaus vor einem anderen Briten verneigt. Lord Jonathan Hill, bisher Finanz- und Binnenmarkt-Kommissar der Union. Er legt sein Amt zum 15. Juli nieder, weil der Ausgang des Referendums nicht ohne Konsequenzen für seine Amtsführung bleibe. Parlamentspräsident Martin Schulz nennt das „ein herausragendes Verhalten“.

Es ist eine fast beklemmende Sondersitzung des Parlamentes in Brüssel. Juncker, der entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten zwar Französisch und Deutsch, nicht aber Englisch spricht, fordert die „britischen Freunde“ fast schon flehentlich auf, das Ergebnis des Referendums „ernst zu nehmen und klar zu sagen, was sie jetzt wollen“. Strikt lehnt er es ab, vor einer offiziellen Austrittserklärung Londons irgendwelche Vorverhandlungen zu führen: „Es wird keine klammheimlichen Gespräche in abgedunkelten Räumen geben“, sagt er. Die Regierung des Vereinigten Königreiches müsse deutlich sagen: „In or out“.

In der Resolution, die die Abgeordneten am Ende mit einer deutlichen Mehrheit von 395 Stimmen bei 200 Nein-Voten (196 Enthaltungen) annimmt, wird eine zügige Umsetzung der nächsten Schritte gefordert. Es ist nur nicht klar, an wen sich dieser Appell richtet. Noch-Premierminister David Cameron hat jedenfalls deutlich gemacht, dass er sich nicht mehr zuständig fühlt. Foto: afp

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Detlef Drewes
Abgeordnete
Brexit
David Cameron
Europäisches Parlament
Jean-Claude Juncker
Martin Schulz
Referendum
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen