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ANKARA
Türkische Wut nach der Armenier-Resolution
TOPSHOT-TURKEY-GERMANY-ARMENIA-POLITICS-GENOCIDE-HISTORY       -  Türkische Nationalisten in historischen Kostümen protestieren vor dem Deutschen Konsulat in Istanbul.
Foto: Ozan Kose, afp | Türkische Nationalisten in historischen Kostümen protestieren vor dem Deutschen Konsulat in Istanbul.
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 |  aktualisiert: 13.06.2016 03:48 Uhr

Zeitungen, die Angela Merkel mit Hitler-Schnäuzer und in Nazi-Uniform zeigen, deutschsprachige Schlagzeilen unfreundlichen Inhalts wie „Schämen Sie sich!“, Demonstrationen vor deutschen Einrichtungen in Istanbul und Ankara: Nach der Armenier-Entscheidung des Bundestages kocht in der Türkei die Wut hoch.

Auch die türkischen Armenier bekommen die aggressive Stimmung der Nationalisten zu spüren: Der armenische Autor Hayko Bagdat berichtet von Zuschriften, in denen er mit den Worten bedroht wurde, „leider“ sei er vom Völkermord verschont geblieben – doch das werde sich ändern.

„Niemand sollte erwarten, dass unsere Beziehungen von jetzt auf gleich völlig zusammenbrechen.“
Binali Yildirim, türkischer Ministerpräsident

Schon vor der Bundestags-Resolution hatten mehr als 20 Länder die Massaker an den Armeniern von 1915 bis 1917 als Genozid eingestuft, doch selten war die Verärgerung in der Türkei so groß wie nach dem Ja des Bundestags zu der Entschließung.

Das liegt nicht nur an der Erinnerung an das Bündnis zwischen Deutschen und Türken im Ersten Weltkrieg, sondern auch daran, dass sich viele nicht vorstellen konnten, dass ein Land mit drei Millionen türkischstämmigen Einwohnern und mit türkischstämmigen Politikern im Parlament eine solche Entscheidung fällen würde.

Die Bundestagsabgeordneten mit türkischen Wurzeln sollten sich bloß nicht mehr in der Türkei blicken lassen, schäumte Erdogans Rechtsberater Burhan Kuzu. Justizminister Bekir Bozda sagte, es handele sich bei den türkischstämmigen Unterstützern der Entschließung um komplexbeladene „Feinde der Türkei“. Im Zentrum der Kritik stand Grünen-Chef Cem Özdemir als einer der Architekten der Resolution. Die regierungsnahe Zeitung „Takvim“ beschimpfte Özdemir als „Brutus“. Viel Lob gab es dagegen für die CDU-Abgeordnete Bettina Kudla, die im Bundestag als Einzige gegen den Antrag gestimmt hatte.

Viele Türken vermuten dunkle Motive hinter der Berliner Resolution. So warf die regierungstreue Zeitung „Star“ den Deutschen vor, die Armenierfrage als Druckmittel gegen die Türkei verwenden zu wollen. Aus Sicht der Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist auch die Forderung der Europäer nach einer Liberalisierung der türkischen Terrorgesetze in diesem Zusammenhang zu sehen: Merkel wolle die als Terrorgruppe eingestufte kurdische PKK „retten“, indem sie die Türkei zwinge, die Gesetze zu lockern, mutmaßte „Star“. Überhaupt sind Theorien über Merkels Überlegungen groß in Mode nach dem Berliner Beschluss. Zeitungskommentatoren betonten, die Kanzlerin habe innenpolitisch unter Druck gestanden, weil in der Debatte über das Flüchtlingsabkommen der Eindruck aufgekommen sei, sie kusche vor Erdogan. Deshalb wolle sie mit der Armenier-Resolution ein Zeichen setzen.

Dass ausgerechnet Deutschland als Nachfolger des „Dritten Reiches“ andere Länder des Völkermordes beschuldigt, treibt Regierungspolitiker auf die Palme. Die Deutschen hätten Millionen Menschen in die Öfen der Konzentrationslager gesteckt, sagte Justizminister Bozdag. „Schau dir deine eigene Geschichte an.“ Samil Tayyar, Parlamentsabgeordneter der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan, kommentierte, in Berlin seien „Hitlers Enkel“ am Werk.

Auch Regierungskritiker lehnten die Resolution ab, nahmen aber gleichzeitig die eigene Regierung ins Gebet. Ankara sei erneut mit dem Versuch gescheitert, die Anerkennung des Völkermordes in einem wichtigen westlichen Land zu verhindern, hieß es in der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“.

Der Politologe Sedat Laciner merkte in einem Beitrag für die Online-Plattform Haberdar an, die türkische Regierung habe dem Thema nicht genug Beachtung geschenkt und das Feld den Armeniern überlassen. Nun drohe die Anerkennung des Genozids durch Großbritannien und die USA.

Vereinzelt wurde sogar Respekt für die Deutschen laut. Der frühere Erdogan-Sprecher Akif Beki verwies in der „Hürriyet“ auf die Tatsache, dass Berlin immerhin eine türkische Protestdemonstration am Brandenburger Tor erlaubt habe. Beki riet seinen Lesern, sie sollten sich einmal vorstellen, was geschehen würde, wenn Demonstranten mit deutschen Fahnen in der Hand vor dem türkischen Parlament in Ankara auftauchen sollten, um Druck auf die Abgeordneten zu machen.

Angesichts der Welle von Ärger und Kritik bemühte sich Ministerpräsident Binali Yildirim, das Thema zu entschärfen. Natürlich werde die Türkei die Bundestagsentscheidung nicht widerspruchslos hinnehmen, sagte er. Deutschland und die Türkei bleiben aber enge Verbündete. „Niemand sollte erwarten, dass unsere Beziehungen von jetzt auf gleich völlig zusammenbrechen“, sagte er. Ungeachtet der Umstände werde die Türkei in ihrem Verhältnis zu ihren wichtigen Freunden und Verbündeten Kurs halten.

Was Yildirims Regierung nach der Rückbeorderung ihres Botschafters aus Berlin an weiteren Protestmaßnahmen gegen Berlin plant, blieb offen. Spekulationen über eine Beendigung der deutschen Militärpräsenz auf der südtürkischen Luftwaffenbasis Incirlik, von der aus eine US-geführte Allianz die Stellungen des „Islamischen Staates“ in Syrien angreift, machten die Runde. Eine Bestätigung oder ein Dementi lagen aber nicht vor.

 
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