zurück
ANKARA
Türkische Ex-Generäle vor Gericht
Von unserem Korrespondenten Gerd Höhler
 |  aktualisiert: 02.09.2013 20:05 Uhr

Erst vor vier Wochen wurden in Istanbul Dutzende ehemalige Offiziere wegen angeblicher Putschpläne gegen Ministerpräsident Tayyip Erdogan zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Mit den Urteilen sei die Entmachtung des früher einflussreichen türkischen Militärs besiegelt, kommentierten Beobachter. Aber die Abrechnung geht weiter.

Nachdem Anfang Juli bereits der frühere Generalstabschef Ilker Basbug zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, steht seit Montag in Ankara einer seiner Amtsvorgänger, Generalstabschef a. D. Ismail Hakki Karadayi, vor Gericht. Der 81-jährige Karadayi ist einer von 103 Angeklagten. Ihnen wird vorgeworfen, 1997 den damaligen islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan gestürzt zu haben, den politischen Mentor des heutigen Premiers Erdogan.

In der Türkei spricht man von dem Verfahren als dem „Prozess des 28. Februar“. An jenem Tag des Jahres 1997 trat in Ankara der Nationale Sicherheitsrat (MGK) zusammen. Dem Gremium gehörten die Mitglieder des Generalstabs und führende Regierungspolitiker an. Es tagte unter dem Vorsitz des Staatspräsidenten, wurde aber traditionell von den Militärs dominiert und galt als die eigentliche politische Entscheidungsinstanz des Landes. Bei der denkwürdigen Sitzung ging es um das Schicksal von Ministerpräsident Erbakan, der seit dem Juni 1996 in einer Koalition seiner islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei mit der konservativen Partei des Rechten Weges regierte.

„Samtener Staatsstreich“

Die Militärs präsentierten Erbakan in der Sitzung eine Liste mit 18 Forderungen. Sie waren darauf gerichtet, islamistische Bestrebungen zu unterbinden. Die Generäle ließen durchblicken, dass sie notfalls mit einem Staatsstreich die Macht übernehmen würden. Vier Monate später trat Erbakan zurück, im Jahr darauf wurde seine Wohlfahrtspartei, damals auch die politische Heimat von Erdogan, als verfassungsfeindlich verboten.

Das Ultimatum vom 28. Februar ging als erster „postmoderner Putsch“ in die türkische Geschichte ein. Manche sprechen auch von einem „samtenen Staatsstreich“. Obwohl 1997 weder Panzer rollten noch ein einziger Schuss fiel, werden die 103 Angeklagten, von denen 38 in Untersuchungshaft sitzen, des gewaltsamen Sturzes der Regierung beschuldigt. Darauf steht lebenslange Haft. Neben Ex-Generalstabschef Karadayi, der als Hauptangeklagter gilt, stehen auch sein früherer Stellvertreter General a. D. Cevik Bir, der Kommandeur der 1. Armee, General a. D. Yalcin Ataman, sowie der damalige Generalsekretär des Generalstabs, Generaloberst a. D. Erol Özkasnak, vor Gericht.

Wegen „Hetze“ verurteilt

Für Premier Erdogan geht es bei dem Prozess auch um die Aufarbeitung eines Kapitels seiner eigenen politischen Laufbahn. Er verlor mit dem Verbot der Wohlfahrtspartei sein Amt als Istanbuler Oberbürgermeister. Im Jahr darauf wurde Erdogan wegen „islamistischer Hetze“ zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt – auf Betreiben der damaligen Militärführung, wie viele Beobachter glauben.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Generalstab
Generalstabschefs
Generäle
Ilker Basbug
Ministerpräsidenten
Necmettin Erbakan
Premierminister
Recep Tayyip Erdogan
Staatsstreiche
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen