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ANKARA
Türkei: Straffreiheit für Sex-Täter
TURKEY-POLITICS-PARTY-AKP       -  Binali Yildirim, türkischer Premierminister
Foto: dpa | Binali Yildirim, türkischer Premierminister
Gerd Höhler
Gerd Höhler
 |  aktualisiert: 27.11.2016 03:49 Uhr

Die Opposition ist empört, Frauenverbände schlagen Alarm, sogar in den Reihen der Regierung gibt es Widerspruch. Aber der türkische Justizminister Bekir Bozdag hält an seinem Plan fest, sexuellen Straftätern, die sich an Minderjährigen vergehen, ihre Strafe unter bestimmten Bedingungen zu erlassen. Das türkische Parlament soll diese Woche ein entsprechendes Gesetz verabschieden. Es sieht vor, dass sexuelle Übergriffe von Männern gegenüber minderjährigen Mädchen straffrei bleiben, wenn der Täter sein Opfer später heiratet. Diese Amnestie soll einmalig für Sexualstraftaten gelten, die vor dem 16. November 2016 begangen wurden und bei denen nicht „Gewalt, Drohung oder andere Formen von Zwang“ im Spiel waren. Die islamisch-konservative Regierung brachte den Gesetzentwurf überraschend am vergangenen Freitag in einer Nachtsitzung ins Parlament ein. Die Opposition wurde überrumpelt, der Entwurf in erster Lesung verabschiedet. Die zweite, entscheidende Lesung soll am Dienstag dieser Woche stattfinden.

Doch die drei Oppositionsparteien wollen die Amnestie verhindern. Kritiker argumentieren, das Gesetz legalisiere rückwirkend Vergewaltigungen und fördere Zwangsehen. Ömer Süha Aldan, ein Abgeordneter der größten Oppositionspartei CGHP, erläutert an einem Fallbeispiel, welche Folgen das Gesetz haben würde: Wenn ein 50- oder 60-Jähriger sich an einem elfjährigen Mädchen vergehe und dieses Mädchen dann Jahre später bei deren Ehemündigkeit heirate, bleibe er straffrei.

Das junge Mädchen dagegen verbringe ihr ganzes Leben im Gefängnis einer Zwangsehe. Auch die ultra-nationalistische Oppositionspartei MHP protestiert: Der Gesetzentwurf sei „ungeheuerlich“, sagt der stellvertretende MHP-Fraktionschef Erkan Akcay. Frauenverbände kritisieren, die Bestimmung des geplanten Gesetzes, wonach es bei dem Missbrauch nicht „Zwang“ oder „Gewalt“ gegeben haben dürfte, sei absurd, wenn es sich bei dem Opfer um ein elf- oder zwölfjähriges Mädchen handele. Die Regierung verteidigt ihre Pläne. Eheschließungen sind in der Türkei ab dem 17. Lebensjahr erlaubt. Dennoch sind Zwangsehen mit Minderjährigen vor allem im Osten des Landes weit verbreitet. Nach dem Gesetz droht dem volljährigen „Ehemann“ wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen langjährige Haft.

Aber die Dunkelziffer ist groß, weil die Strafverfolgungsbehörden von solchen Zwangsehen in der Regel nicht erfahren. „Solche Ehen mit Minderjährigen sind eine Realität“, sagt Ministerpräsident Binali Yildirim. „Diese Familien kennen das Gesetz nicht.“ Das könne dazu führen, dass der Ehemann ins Gefängnis müsse und die Kinder der „Familie“ ohne Vater aufwachsen. Es gebe etwa 3000 solcher Familien, die man mit dem neuen Gesetz wieder zusammenführen wolle, so Yildirim. In mehreren türkischen Städten gab es am Wochenende Proteste gegen die Pläne. Auch viele weibliche Abgeordnete der Regierungspartei AKP seien gegen das Gesetz, berichtet die Zeitung „Hürriyet“.

 
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