Es geht um einen Auftrag im Wert von vier Milliarden Dollar. So viel Geld will die Türkei in den Aufbau eines Langstrecken-Luftabwehrsystems investieren, das feindliche Raketen und Bomber unschädlich machen soll. Hersteller aus den USA und Europa machten sich Hoffnung auf das Geschäft. Aber Ministerpräsident Tayyip Erdogan will den Auftrag an eine chinesische Firma vergeben.
Die NATO ist irritiert, die USA äußern Besorgnis. Doch der türkische Vizepremier Bülent Arinc verbat sich jede „ausländische Einmischung“ in das Rüstungsgeschäft. Vergangene Woche entschied ein Rüstungsausschuss unter Vorsitz von Premier Erdogan, Luftabwehrraketen des Typs FD-2000 beim chinesischen Anbieter China Precision Machinery Import and Export Corporation (CPMIEC) zu bestellen. Für die chinesischen Raketen könnte der günstige Preis gesprochen haben: Während die Türkei für die Beschaffung des Luftabwehrsystems vier Milliarden Dollar angesetzt hat, soll das chinesische Angebot bei drei Milliarden liegen.
Dass der NATO-Staat Türkei mit chinesischen Raketen liebäugelt, hat Irritationen ausgelöst. Nachdem Erdogan Europa die kalte Schulter zeigt und sein Chefberater Yigit Bulut den Austritt aus der EU-Zollunion propagiert, scheint die islamisch-konservative Regierung nun auch auf Distanz zur NATO zu gehen. Das US-Außenministerium habe der türkischen Regierung seine „ernste Besorgnis“ mitgeteilt, erklärte eine Sprecherin des State Department. Das chinesische Staatsunternehmen CPMIEC wurde erst im Februar von den USA mit Sanktionen belegt, weil es Waffensysteme an Nordkorea, den Iran und Syrien geliefert hat.
Weil die Türkei bisher keine geeigneten Abwehrsysteme besitzt, hatten die USA, Deutschland und die Niederlande Anfang des Jahres mehrere Patriot-Luftabwehrsysteme in Südostanatolien stationiert, zum Schutz vor Angriffen aus Syrien. Auch deshalb hatte sich der Patriot-Produzent Raytheon Hoffnung auf das Geschäft gemacht. Umso größer ist nun die Enttäuschung bei dem US-Hersteller.
Aber es geht um mehr als einen Milliardenauftrag. Das von den Türken favorisierte chinesische Waffensystem ist nicht mit der NATO-Technologie kompatibel. Militärexperten verweisen darauf, dass etwa die Hälfte der in Anatolien installierten Luftabwehr-Radaranlagen von der NATO finanziert wurden. Sie sind für die chinesischen Raketen unbrauchbar. Die Türkei müsste also ein neues, paralleles Radarsystem aufbauen – das wiederum nicht zu den NATO-Systemen passen würde. Brisant auch: Die von der NATO verwendeten Techniken zur Freund-Feind-Erkennung könnten nicht in das chinesische System integriert werden.
Diplomaten in Ankara rätseln über Erdogans Motive. Eine Rolle könnte das Angebot der Chinesen spielen, Teile des Systems in der Türkei zu fertigen. Von einem solchen Technologie-Transfer würde die Rüstungsindustrie profitieren. Es könnte Erdogan aber auch darum gehen, Unabhängigkeit gegenüber den USA und der EU zu demonstrieren, die ihn kürzlich wegen der brutalen Niederschlagung der türkischen Protestwelle kritisierten. Inzwischen scheint es an der türkischen Staatsspitze Zweifel zu geben, ob der China-Deal politisch klug ist. Staatspräsident Abdullah Gül, der als pro-westlicher außenpolitischer Realist gilt, erklärte gegenüber Reportern, über die Beschaffung der chinesischen Raketen sei „noch nicht endgültig entschieden“.
Doch Vizepremier Bülent Arinc verteidigte die Entscheidung für die chinesischen Raketen. China habe den günstigsten Preis genannt und eine gemeinsame Produktion der Waffensysteme angeboten. „Wir denken an nichts anderes als die Interessen der Türkei“, sagte Arinc. Kein anderer Staat habe das Recht, sich in die Angelegenheit einzumischen.