
Alhous Ag Tajou und El Kassim sind Tuareg. Bis vor wenigen Tagen lebten sie in Timbuktu in Mali. Alhous betrieb dort ein Reisebüro und ein kleines Hotel, denn in den vergangenen Jahren zog es verstärkt Touristen in die Wüstenstadt am Rand der Westsahara. Beim Würzburger Africa Festival waren die beiden seit 2004 jedes Jahr zu Gast, um in einem authentischen Tuareglager über ihre Heimat zu berichten. Auch in diesem Jahr wollen sie wiederkommen. Ob dies angesichts der turbulenten Ereignisse in Mali möglich sein wird, muss sich zeigen.
Kurz vor Ostern konnte Stefan Oschmann, der Organisator des Festivals, noch mit Alhous Ag Tajou telefonieren. Es war der Tag des Einmarsches der Rebellen in Timbuktu. Da zeigte sich der Tuareg zuversichtlich. Es gehe ihm gut, sagte er, die Rebellen seien in der Stadt, doch alles sei friedlich. Klar werde er an Pfingsten nach Würzburg kommen, sagte Alhous voller Überzeugung.
Doch die Dinge überstürzten sich in Mali. Weitere Versuche, Alhous zu kontaktieren blieben erst einmal erfolglos. Er sei ins benachbarte Burkina Faso geflohen, war zu hören. Und in der Tat konnte ihn Oschmann dort am Ostermontag erreichen. Hals über Kopf hatten Ag Tajou und El Kassim mit ihren Familien Timbuktu verlassen müssen. Timbuktu sei zu gefährlich geworden, sagte Ag Tajou, der zu den gemäßigten Tuareg gehört, am Telefon. „Timbuktu ist jetzt eine leere Stadt“, beschrieb er die Lage. Denn mit den islamistischen Rebellen, die jetzt das Sagen haben, wollen viele Tuareg nichts zu tun haben. Sie haben die 50 000-Einwohner-Stadt verlassen.
Immer wieder gab es in den vergangenen 50 Jahren Aufstände des Nomadenvolkes der Tuareg gegen die Staatsregierung. Die „Herren der Wüste“ fühlten sich wirtschaftlich benachteiligt. Doch Mitte der 1990er-Jahre verständigten sich beide Seiten. Kleinere Scharmützel hatte es immer wieder gegeben, im Januar 2012 eskalierte die Situation im Tuareg-Gebiet im Norden Malis jedoch wieder. Tuareg-Rebellen, die in Libyen für Diktator Gaddafi gekämpft hatten, waren nach dessen Tod praktisch „arbeitslos“. Die bestens bewaffnete mehrere Tausend Mann starke Truppe kehrte nach Mali zurück. Als „Nationale Bewegung zur Befreiung von Azawad“ (landessprachlich für das Tuareg-Gebiet) wollten sie die Unabhängigkeit der Region erzwingen. Die schlecht ausgestattete malische Armee floh in die Hauptstadt Bamako im Süden und putschte gegen die Regierung, der sie Unfähigkeit im Kampf gegen den Terror vorwarf. Denn mit den Tuareg-Rebellen hatte sich im Norden die Islamistengruppe Ansar el Din (Verteidiger des Islam), ein El-Kaida-Ableger, verbündet. Und während die Armee im Süden putschte, fielen die Rebellen im Norden ein und eroberten die wichtigen Städte Kidal, Gao und zuletzt das zum Weltkulturerbe gehörende Timbuktu.
Während die Tuareg-Rebellen für ein eigenes Staatsgebiet kämpfen, geht es Ansar el Din um mehr. Sie wollen Mali zu einem islamistischen Staat machen. In Timbuktu haben sie bereits ihre schwarze Fahne gehisst und Frauen das Tragen von kurzen Röcken und Hosen verboten.
Henner Papendieck, regelmäßiger Africa-Festival-Gast und langjähriger Leiter des Entwicklungsprojekt Mali-Nord, war kurz vor Ausbruch der Unruhen noch in Mali. Er berichtet, dass die Einwohner Timbuktus mit den islamistischen Rebellen „absolut nichts zu tun haben“. Papendieck fürchtet auch nicht, dass die Rebellen sich über die Bibliotheken in Timbuktu hermachen, wo Zehntausende wertvolle Bücher und Schriften mit dem islamischen Wissen der malischen Blütezeit im 15./16. Jahrhundert lagern: „Das sind für diese Leute nur Truhen voll Altpapier.“
Inzwischen hat der malische Präsident den Weg für eine Übergangsregierung freigemacht. Innerhalb von 40 Tagen soll es Neuwahlen geben. Das Land bleibt aber gespalten. Eine der Rebellengruppen hat im Norden den unabhängigen Staat Azawad ausgerufen, der aber von keinem Land anerkannt wird.
Alhous und El Kassim warten derweil in Burkina Faso ab, wie sich die Lage zu Hause entwickelt. Ob und wann sie zurückkehren können, ist offen. Aber einen Plan wie sie an Pfingsten nach Würzburg kommen, haben sie bereits. Zunächst wollen sie zurück nach Bamako und von dort mit dem Flugzeug nach Frankfurt. Nach Würzburg ist es dann ja nicht mehr weit.
Die Tuareg
Seit Jahrhunderten hat das Nomadenvolk der Tuareg seinen Lebensraum im Gebiet der heutigen afrikanischen Staaten Mali, Algerien, Niger, Libyen, Burkina Faso und Marokko. Von den 15,4 Millionen Einwohnern Malis gehören etwa 300 000 dem Volk der Tuareg an. Sie leben im Norden des Landes. Sie haben eine eigene Sprache, das Tamashek. Sie werden auch das „blaue Volk“ genannt, weil sie mit Indigo gefärbte Kleidung tragen. Mit ihren Karawanen spielten die Tuareg eine wichtige Rolle beim Salztransport durch die Sahara. Heute kommen hierfür immer häufiger Transportfahrzeuge zum Einsatz, sehr zum Nachteil der Tuareg.
1990 bis 1995 revoltierten die Tuareg in Mali unter ihrem legendären Führer Mano Dayak gegen die Regierung, weil sie sich unterdrückt und ausgegrenzt fühlten. Mitte der 1990er Jahre wurde ein Friedensvertrag mit der Regierung geschlossen. Doch im Zuge des Bürgerkriegs in Libyen flammten die Unruhen im Norden Malis wieder auf, als Tuareg, die vorher für Diktator Gaddafi kämpften, aus Libyen vertrieben wurden und Gebiete im Norden Malis unter ihre Kontrolle brachten. Text: Rö