Sondern auch für breiten Bürgerprotest und Ängste bei dem geplanten größten Freihandelsabkommen der Welt zwischen der EU und den USA. In kaum einen Land ist das Unbehagen so groß wie in Deutschland. Es stärkt sicher nicht das Vertrauen, dass nun Angaben zu angeblichen Wachstumseffekten korrigiert werden müssen. Und zwar nach unten.
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Angefangen hat es mit dem Buch «Die Freihandelslüge: Warum TTIP nur den Konzernen nützt» von Thilo Bode. Früher Greenpeace-Chef, gründete der Mann vom Ammersee 2002 die Verbraucherorganisation Foodwatch, einer der hartnäckigsten Kritiker von TTIP. Bode hat den Eindruck gewonnen, dass es eine Kluft gebe «zwischen Theorie und Praxis der Freihandelsidee». Als einen Beleg, dass TTIP Profitinteressen der global agierenden Konzerne zu Lasten der Bürger und Staaten bedienen könnte, führt er einen Passus aus dem EU-Verhandlungsmandat an.
Investoren solle bei TTIP ein «höchstmögliches Maß an Rechtsschutz und Rechtssicherheit» gewährt werden. Das spielt auf die Option privater Schiedsgerichte an, mit denen nationale Gesetze ausgehebelt und bei missliebigen Entscheidungen Schadenersatz erstritten werden könnten. Allerdings gibt es die bei anderen Abkommen schon lange.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der für TTIP kämpft, aber um die Zustimmung seiner Partei bangen muss, hat zur Klärung von Streitigkeiten zwischen Staaten und Konzernen einen mit unabhängigen Richtern besetzten Handelsgerichtshof ins Spiel gebracht. Aber ob sich das durchsetzen lässt? Der Vorwurf, Großkonzerne könnten sich über nationale Gesetze hinwegsetzen, belaste die Verhandlungen «mehr als alle Chlorhühnchen der Welt», räumte er bei einem Kongress ein.
Die öffentliche Aufmerksamkeit und Bodes Attacken gegen so manche übertriebenen Versprechen führten nun zu Korrekturen. Wobei ohnehin alle Zahlen problematisch sind - keiner weiß, was am Ende bei dem Abkommen für den 800 Millionen Bürger umfassenden Raum herauskommt. Es sind Beispiele, wie mit Studien Politik zu machen versucht wird.
Auch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft änderte Angaben, der Verband der Automobilindustrie ebenso - der VDA ist wegen des Wegfalls von Zöllen und einheitlichen Standards etwa bei Autoblinkern ein besonders engagierter Vorkämpfer des Freihandelsabkommens.
Auch die EU-Kommission hat in einem Frage & Antworten für die Bürger einige Angaben korrigiert oder gelöscht. So war von «einem jährlichen Zusatzeinkommen von 545 EUR für den durchschnittlichen EU-Haushalt» durch TTIP gesprochen worden. Das wurde gestrichen.
In die Kritik geraten ist auch eine Broschüre der CDU von Kanzlerin Angela Merkel, in der es ebenfalls unter Verweis auf die CEPR-Studie heißt: «Wirtschaftsexperten erwarten eine Zunahme der jährlichen Wirtschaftskraft in der EU von 119 Milliarden Euro.» Das entspreche 0,9 Prozent des BIP der EU. Und: «Die Schätzungen über zusätzliche Arbeitsplätze in der EU reichen von 400 000 bis 1,3 Millionen.» Es könnten laut Studien aber auch nur 18 000 in EU und USA sein.
Das Konrad-Adenauer-Haus sieht aber keinen Anlass für eine Korrektur. «Die genannten Zahlen sind durch Studien belegt und spiegeln unsere Ziele wider, die wir durch eine umfassende Liberalisierung des transatlantischen Freihandels erreichen wollen», wird hier betont. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter meint dagegen, die CDU trommle mit falschen Zahlen für TTIP, die Broschüre gehöre eingestampft.
«Wenn die TTIP-Befürworter bei der Wahrheit bleiben, fallen die zu erwartenden wirtschaftlichen Effekte des Abkommens zusammen wie ein Soufflé im Ofen», so Bode. Einer YouGov-Umfrage zufolge halten nur 26 Prozent der Bürger TTIP für eine gute Sache. Deutschlands oberster Verbraucherschützer, Klaus Müller, kritisiert: «Ungenaue Prognosen und der schludrige Umgang mit den Zahlen schürt Unsicherheit und Misstrauen.» Der Sprecher der SPD-Linken im Bundestag, Carsten Sieling, spricht von «Voodoo-Ökonomie». Nach den Korrekturen müssten nun «die privaten Schiedsgerichte auf den Müllhaufen der Geschichte».