
Stehen die Schüler der Deutschen Schule in Athen bald vor verschlossenen Türen? Kommt das Goethe-Institut in der Athener Homer-Straße unter den Hammer? Gut möglich. Denn der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos will deutsche Liegenschaften pfänden und zwangsversteigern lassen. Der Erlös soll Hinterbliebenen griechischer Nazi-Opfer zufließen.
Seit Jahrzehnten belastet der Streit um griechische Reparationsforderungen die Beziehungen beider Länder. Bisher waren die Regierungen in Berlin und Athen bemüht, die Kontroverse nicht eskalieren zu lassen. Das scheint sich jetzt zumindest in Griechenland zu ändern. Der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras will die Forderungen eintreiben. „Damit ehren wir alle Opfer des Zweiten Weltkrieges und des Nazismus sowie des griechischen Widerstandes“, sagte Tsipras vor dem Parlament in Athen.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll jetzt die Reparationsansprüche prüfen und Möglichkeiten untersuchen, wie sie durchgesetzt werden können. Tsipras hatte bereits in seiner Regierungserklärung Anfang Februar Reparationsansprüche angemeldet. Eine Meinungsumfrage vom vergangenen Monat zeigte: Über 90 Prozent der Griechen unterstützen diese Forderung.
Es geht um viel Geld. Ein Gutachten des Rechnungshofes vom Dezember 2014 verzeichnet auf 186 Seiten detailliert die Ansprüche. Das Papier wird von der Regierung als „streng geheim“ eingestuft, wurde aber von der Zeitung „To Vima“ publiziert. Danach belaufen sich die Forderungen auf bis zu 332 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Griechenlands Staatsschulden betragen 320 Milliarden Euro – das Land wäre also auf einen Schlag schuldenfrei und hätte sogar noch zwölf Milliarden übrig.
Die Bundesregierung hält die Reparationsfrage für erledigt. 1960 hatte Deutschland 115 Millionen Mark für griechische Opfer der NS-Herrschaft nach Athen überwiesen. Wo das Geld damals ankam, ist unklar. Die Zahlung war an die Bedingung geknüpft, dass keine weiteren Forderungen auf individuellen Schadensersatz gestellt würden. Tsipras erhebt jetzt den Vorwurf, die deutschen Regierungen hätten seither „mit Schweigen, juristischen Tricks und Verzögerung“ reagiert. Er frage sich, ob das eine „moralische Haltung“ sei, sagte Tsipras im Parlament. Justizminister Paraskevopoulos verlieh den Forderungen Nachdruck: Er sei bereit, die Pfändung deutscher Liegenschaften in Griechenland zu genehmigen.
Dazu wäre es bereits im Jahr 2000 fast gekommen. Damals schickte der griechische Opferanwalt Ioannis Stamoulis eine Gerichtsvollzieherin zum Athener Goethe-Institut. Er wollte das Gebäude pfänden und zwangsversteigern. Der Erlös sollte 296 Hinterbliebenen des SS-Massakers im griechischen Dorf Distomon zukommen. Ein Gericht in der griechischen Kreisstadt Livadia hatte den Hinterbliebenen eine Entschädigung von 56 Millionen Mark zugesprochen. Im Jahr 2000 erklärte der Oberste Gerichtshof die Pfändung deutscher Liegenschaften für rechtens – allerdings nur mit Zustimmung des Justizministers. Paraskevopoulos, der vor seiner Berufung zum Justizminister als Professor für Strafrecht an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki lehrte, will nun den Weg freimachen für die Pfändung und Zwangsversteigerung deutschen Staatseigentums in Griechenland.
Während der Besatzungsjahre 1941 bis 1944 kamen 130 000 griechische Partisanen und Zivilisten in Kämpfen oder durch Massaker der Wehrmacht und der SS ums Leben, darunter Frauen, Kinder und Greise. 70 000 griechische Juden wurden in die Vernichtungslager verschleppt. 300 000 Griechen verhungerten oder erfroren im Winter 1941/42, weil die Besatzer Brennstoffe und Nahrungsmittel beschlagnahmten.
Beim Abzug der Deutschen waren 87 Prozent der Handelsflotte zerstört. Mit einer Zwangsanleihe über 476 Millionen Reichsmark bei der Bank von Griechenland bürdeten die Deutschen den Griechen auch noch die Kosten der Besatzung auf. Der Zwangskredit wurde nie zurückgezahlt. Er hat nach Berechnungen griechischer Experten heute einen Wert von elf Milliarden Euro.
Deutschland wies die Milliardenforderungen Griechenlands strikt zurück. Die Frage von Reparationen und Entschädigungszahlungen sei rechtlich und politisch umfassend sowie abschließend geklärt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Das betreffe all die immer wieder vorgebrachten Punkte. „Wir sollten uns auf die Themen der Gegenwart und der hoffentlich guten Zukunft für unsere beiden Länder konzentrieren“, betonte Seibert.
Die Drohung, deutsches Eigentum in Griechenland zu beschlagnahmen, wollte Seibert nicht kommentieren. Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Martin Jäger, ergänzte: „Wir werden in dieser Frage keine Gespräche und Verhandlungen mit der griechischen Seite führen.“ Es sollte gemeinsam nach vorne geschaut werden. Eine Emotionalisierung und rückwärtsgewandte Vorwürfe würden bei der Bewältigung der aktuellen Probleme nicht weiterhelfen.
Pfändungsobjekte
Griechenland bringt die Pfändung deutscher Immobilien ins Spiel.
Goethe-Institut in Athen: Hier ging der Versuch einer Beschlagnahme 2000 am weitesten. Die Aktion wurde vom damaligen Athener Justizminister gestoppt.
Deutsches Archäologisches Institut in Athen: Hier klopften Anwälte und Gerichtsvollzieher 2000 vergeblich an die Tür: Ein Diplomat übernachtete im Gebäude, um jeden griechischen Versuch einer Pfändung abzuwehren. Erfolgreich. Das traditionsreiche Institut fand zudem in der griechischen Regierung viele Verteidiger.
Deutsche Schule in Athen: Das Institut stand auf der Wunschliste der Anwälte, doch vor dem Versuch einer Beschlagnahme wurde die Aktion gestoppt.
Deutsche Schule in Thessaloniki: Auch dieses Institut stand auf der Wunschliste, blieb am Ende aber unbehelligt. In der damaligen griechischen Regierung gab es starke Bedenken dagegen, ausgerechnet die Schulen anzutasten, in denen Griechen und Deutsche gemeinsam lernten und eine Verbindung aufbauten.
Die deutsche Botschaft kommt nicht infrage: Sie ist deutsches Territorium. Text: dpa