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Washington
Trumps Schicksalstage
Die Impeachment-Anhörungen sollen zu einer Amtsenthebung des US-Präsidenten führen. Wer sie verfolgt, glaubt sich in einem Mafia-Film, bisweilen auch in einem Polit-Thriller.
Vor dem Kapitol in Washington fordern Demonstranten die Absetzung von US-Präsident Donald Trump. Ein paar Meter weiter, im Longworth-Gebäude, laufen seit zwei Wochen die öffentlichen Impeachment-Anhörungen, die zu einer Amtsenthebungsanklage gegen den Präsidenten führen sollen.
Foto: Julio Cortez, dpa | Vor dem Kapitol in Washington fordern Demonstranten die Absetzung von US-Präsident Donald Trump. Ein paar Meter weiter, im Longworth-Gebäude, laufen seit zwei Wochen die öffentlichen Impeachment-Anhörungen, die zu ...
Karl Doemens
Karl Doemens
 |  aktualisiert: 14.12.2019 02:11 Uhr

Vier Stunden lang hat Jim Jordan unruhig die Vorstellung verfolgt. Mal ist der Abgeordnete aus Ohio wie ein Tiger durch die Zuschauerreihen gestreift, mal ist er mit seinem schweren braunen Ledersessel auf dem Podium vor- und rückwärts gerollt. Es ist frostig kalt im Saal 1100 des Longworth-Gebäudes gegenüber des Washingtoner Kapitols. Reporter und Zuschauer haben Schals und Mäntel übergezogen. Doch Jordan trägt sein hellblaues Anzughemd ohne Sakko. Der Trump-Anhänger scheint von innen zu glühen. „Nancy Pelosi hat Präsident Trump einen Betrüger genannt“, sagt der Republikaner mit halb heruntergezogener Brille über die Oppositionschefin und setzt zur Attacke an, als er um kurz nach 13 Uhr endlich das Wort erhält: „So weit ist es in unserem Land gekommen. Die Demokraten machen alles, um die Wahl vom November rückgängig zu machen.“ Immer schärfer und lauter wird seine Stimme, während die beiden Zeugen an dem langen Holztisch vor ihm auf ihre Befragung warten. Einen „Impeachment-Coup“ habe die Opposition angezettelt, dröhnt Jordan: „Aber die Fakten sind auf der Seite des Präsidenten, und das amerikanische Volk versteht das.“

Der Abgeordnete hat keine einzige Frage gestellt und keine Antwort bekommen. Doch er wirkt zufrieden. Seine Brandrede war perfekt inszeniert für die Fernsehsender, die die stundenlange Anhörung aus dem Kongress übertragen. Wahrscheinlich wird sie nicht alle 327 Millionen Amerikaner überzeugen. Aber für einen Clip beim rechten Kabelsender Fox News dürfte es reichen. Und ein Zuschauer ist garantiert begeistert: der Regent im Weißen Haus.

'So weit ist es mit unserem Land gekommen', poltert Trump-Anhänger Jim Jordan.
Foto: Susan Walsh, dpa | "So weit ist es mit unserem Land gekommen", poltert Trump-Anhänger Jim Jordan.

Seit zwei Wochen laufen die öffentlichen Anhörungen des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus. Sie sollen zu einer Amtsenthebungsanklage gegen den Präsidenten führen, wie es sie bislang erst zweimal seit der Gründung der Vereinigten Staaten gegeben hat: 1868 gegen Andrew Johnson und 1999 gegen Bill Clinton. In der Watergate-Affäre war Richard Nixon 1974 zurückgetreten, bevor das Verfahren formal eröffnet wurde. Es wird Geschichte geschrieben im größten Ausschuss-Saal des Kongresses. Der pompöse Stuck, die hohen Säulen, die schweren blauen Vorhänge und der massive Kronleuchter zeugen vom Selbstverständnis eines Parlaments, das sich dem Präsidenten mindestens ebenbürtig fühlt.

Es ist offen, wie das Schauspiel endet 

Formal geht es bei der Untersuchung darum, ob Donald Trump amerikanische Militärhilfen für die Ukraine zurückgehalten hat, um das osteuropäische Land zu einer Schmutzkampagne gegen seinen möglichen demokratischen Herausforderer Joe Biden zu nötigen. Nach weit über 30 Stunden Sitzungen mit mehreren tausend Seiten Mitschriften kann daran kein vernünftiger Zweifel mehr bestehen. Doch das Land ist tief gespalten. Aus der Faktensammlung ist ein politischer Showdown zwischen Demokraten und Republikanern geworden. Es ist offen, wie das Schauspiel endet – als Drama mit der Abberufung des Bösewichts oder als Farce mit dem Triumph des Skrupellosen.

Ein Dutzend hochrangiger Beamter hat in den vergangenen Tagen dem Aussageverbot der Regierung getrotzt und ist vor dem Ausschuss erschienen: Fachleute aus dem Weißen Haus, amtierende und ehemalige Botschafter, ein Staatssekretär aus dem State Department und ein Sonderbeauftragter des Präsidenten. Ihre Schilderungen beleuchten eine absurde Welt voller Intrigen und Korruption, die Politsatiren wie „House of Cards“ und „Veep“ naiv erscheinen lässt. Eine Welt, in der der US-Präsident im Telefonat mit einem Amtskollegen von den attraktiven Miss-Universe-Kandidatinnen aus dessen Land schwärmt und sich von seinem Botschafter berichten lässt, dass ein ausländischer Staatschef seinen „Arsch liebt“. Eine Welt, in der die Spitze des State Departments einer Diplomatin rät, etwas Freundliches über den Präsidenten zu twittern, um eine von diesem unterstützte Verleumdungskampagne gegen ihre Person zu stoppen. Das alles wird in diesen Tagen aufgerollt.

Selten wohl sind patriotischer Idealismus und zynischer Nihilismus so hart aufeinandergeprallt wie bei den Impeachment-Anhörungen. Es treten auf: Vertreter der alten Ordnung und Opportunisten der neuen Macht. „Willkommen im Zirkus!“, eröffnet Devin Nunes, der ranghöchste Republikaner im Raum, ironisch-süffisant die Sitzung.

Mit der alten Schule der Diplomaten kann Trump nichts anfangen 

Kurz darauf erzählt der Ukraine-Experte Alexander Vindman voller Pathos und Ernst, wie er mit seinem jüdischen Vater, der Großmutter und seinem Zwillingsbruder als Dreijähriger aus der Sowjetunion in die USA floh, mit Stolz die Uniform eines Oberstleutnants trägt und nun trotzdem gegen den Präsidenten aussagen wird: „Keine Sorge, Dad, es wird gut gehen, wenn ich die Wahrheit sage!“, hat er seinen besorgten Vater beruhigt. Restlos überzeugt davon wirkt er selbst nicht.

Auch ist kaum ein größerer Kontrast denkbar als der zwischen Gordon Sondland, dem von Trump berufenen EU-Botschafter, und George Kent, dem Vizestaatssekretär im State Department. Der erste ist Hotel-Unternehmer, hat den Job als Gegenleistung für eine Spende von einer Million Dollar bekommen, besitzt ein ausnehmend schlechtes Gedächtnis und verkehrt mit Trump üblicherweise im Gossenjargon. Der zweite, ein klassischer Karrierediplomat, hat in Harvard studiert, spricht sieben Sprachen, erscheint zur Anhörung im Dreiteiler mit Fliege und erklärt ziemlich deutlich, was er von Trumps Aktionen gegen Biden hält – nichts.

Mit dieser alten Schule der Diplomaten, die Trump verächtlich als „Bürokraten“ bezeichnet, kann der Twitter-Präsident nichts anfangen. Die Ukraine hasst er. „Die Ukraine ist ein furchtbares Land. Die sind alle korrupt. Die haben versucht, meine Wahl zu verhindern“, polterte er im Mai im Oval Office.

„Das ist eine erfundene Erzählung“, widerspricht Trumps ehemalige Russland-Beraterin Fiona Hill ihrem Chef vehement. Tatsächlich mischte sich nicht die Ukraine, sondern Russland in die Wahlen ein – und zwar zugunsten von Trump. Gleichwohl ließ er seinen Anwalt Rudy Giuliani an den offiziellen Kanälen vorbei eine Neben-Außenpolitik aufbauen, die nicht dem offiziellen Ziel der Stärkung der Ukraine gegen Russlands Expansionsgelüste, sondern alleine seinen innenpolitischen Interessen dient.

Die abberufene Botschafterin Marie Yovanovitch sagt aus – und Trump bepöbelt sie bei Twitter.
Foto: Richard Drew, dpa | Die abberufene Botschafterin Marie Yovanovitch sagt aus – und Trump bepöbelt sie bei Twitter.

Auf diese Weise werden aus einem korrupten Generalstaatsanwalt in der Ukraine plötzlich ein Verbündeter und aus der US-Diplomatin, die ihn bekämpfte, eine Versagerin. „Bad News“ nannte Trump am 25. Juli im Telefonat mit dem frisch gewählten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die kurz zuvor buchstäblich über Nacht abberufene Botschafterin Marie Yovanovitch. „Ich war geschockt“, berichtet die Frau mit leiser, aber fester Stimme dem Impeachment-Ausschuss. Noch während sie den Abgeordneten Rede und Antwort steht, bepöbelt sie der Präsident bei Twitter erneut: „Überall, wo Marie Yovanovitch hinkam, ging es den Bach herunter.“ Der demokratische Ausschussvorsitzende Adam Schiff lässt den Tweet auf die Fernsehtafeln im Kongresssaal werfen. Ein surrealer Moment. „Das ist Zeugenbeeinflussung in Echtzeit“, empört sich Schiff über Trump.

Bisweilen wähnt man sich in einem eiskalten Polit-Thriller 

Bisweilen wähnt man sich in einem düsteren Mafia-Film, bisweilen in einem eiskalten Polit-Thriller. Der könnte zum Beispiel am 26. Juli 2019 spielen – dem Tag nach dem Trump-Telefonat. Da treffen EU-Botschafter Sondland, der US-Sonderbeauftragte Kurt Volker und der amtierende Ukraine-Botschafter William Taylor morgens in Kiew zunächst Präsident Selenskyj. Anschließend fährt Taylor ins nördliche Donbass an die Front, dorthin, wo jede Woche Soldaten sterben. Der ukrainische Kommandeur dankt dem Diplomaten für die amerikanische Militärhilfe, die tatsächlich wenige Tage zuvor von Donald Trump gestoppt wurde. „Ich fühlte mich unwohl“, berichtet Taylor rückblickend.

Derweil hat sich Sondland mit drei Mitarbeitern zum Lunch in ein schickes Restaurant in Kiew begeben und eine teure Flasche Wein bestellt. Irgendwann greift er zum Handy, um Trump anzurufen. Ein Botschaftsmitarbeiter kann hören, wie der Präsident am anderen Ende der Leitung fragt: „Also, macht er die Untersuchung?“ Sondland antwortet laut dem Ohrenzeugen: „Er macht alles, was Sie von ihm verlangen.“ Der Botschaftsmitarbeiter ist verwundert, dass sich Trump gar nicht nach der Lage in der Ukraine erkundigt. „Der interessiert sich einen Scheiß für die Ukraine“, zitiert er die Antwort Sondlands. Dem Präsidenten gehe es alleine „um die großen Themen wie die Biden-Untersuchung“.

An diese Äußerung kann sich Sondland, der Mann mit dem schlechten Gedächtnis, zwar nicht mehr erinnern. Doch räumt er inzwischen ein, dass die Ukraine-Hilfe an Ermittlungen gegen Trumps politischen Rivalen Joe Biden geknüpft war, für die kein einziger Zeuge einen sachlichen Grund sah: „Wir sind den Anordnungen des Präsidenten gefolgt.“ Die Demokraten sind überzeugt, dass diese Aussagen reichen, um den Präsidenten des Amtsmissbrauchs und der Bestechung anzuklagen. Auch eine knappe Mehrheit der Bevölkerung teilt diese Ansicht. Doch eine öffentliche Empörungswelle, wie sie Nixon aus dem Amt trieb, gibt es bislang nicht. Das liegt wohl auch daran, dass der rechte Sender Fox News inzwischen höhere Einschaltquoten hat als CNN. „Es war ein weiterer riesiger Schwindel und ein peinliches Schauspiel für das ganze Land“, fasst Trumps Lieblingseinpeitscher Sean Hannity dort am Dienstag die vorangegangene Anhörung zusammen. Dann zeigt er einen Ausschnitt der Sitzung. Es spricht der Abgeordnete Jim Jordan.

Wie sich die Ukraine-Affäre zur größten Krise von Donald Trump entwickelt hat
Alles begann mit einem Telefonat, das nach Meinung von Trump „perfekt“ war. Am 25. Juli sprach der US-Präsident mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und bat ihn um einen „Gefallen“: Er möge die angebliche Einmischung seines Landes in die US-Wahlen untersuchen und insbesondere gegen den möglichen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und dessen Sohn Hunter ermitteln.
Nicht alle Beamte, die dem Anruf im Oval Office lauschten, waren so begeistert wie Trump. Mehrere formulierten intern Vorbehalte. Die Unruhe hinter verschlossenen Türen wuchs, als bekannt wurde, dass der Präsident kurz zuvor eine zugesagte Militärhilfe von knapp 400 Millionen US-Dollar auf Eis gelegt hatte. Ein Whistleblower – mutmaßlich ein Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes CIA – hörte die Geschichte von seinen Kollegen, erfuhr, dass die Mitschrift des Telefonats in einem digitalen Geheimordner versteckt wurde und informierte die interne Behördenaufsicht.
Anfang September sickerten Details der Eingabe an die Öffentlichkeit durch. Die Demokraten begannen mit Anhörungen für ein mögliches Amtsenthebungsverfahren, die seit zwei Wochen öffentlich geführt werden. In deren Verlauf wurden erdrückende Beweise dafür gesammelt, dass Trump schon vor dem Telefonat seinen Anwalt Rudy Giuliani mit der Durchführung einer speziellen Ukraine-Politik beauftragt hatte, die der offiziellen Politik zuwiderlief und vor allem Trumps innenpolitischen und Giulianis wirtschaftlichen Interessen diente. Dazu arbeitete Giuliani mit zwei zwielichtigen Geschäftsleuten, die inzwischen wegen Betrugs angeklagt sind, sowie dem Trio aus US-Energieminister Rick Perry, dem Sonderbeauftragten Kurt Volker und dem EU-Botschafter Gordon Sondland zusammen. Über dieses Trio machte Giuliani dem ukrainischen Präsidenten deutlich, dass er erst nach seiner Einwilligung in eine Schmutzkampagne gegen die Bidens im Weißen Haus empfangen und die Militärhilfe erhalten würde. „Es gab ein quid pro quo“ (Koppelgeschäft), hat Sondland inzwischen bestätigt. Zu der bereits formulierten Erklärung Selenskyjs kam es aber nicht mehr, nachdem das Komplott in den USA aufgeflogen war.
In den vergangenen zwei Wochen hat der Geheimausschuss des Repräsentantenhauses zwölf Zeugen befragt. Allerdings sind zentrale Figuren wie Giuliani und Ex-Sicherheitsberater John Bolton der Vorladung nicht gefolgt. Die Demokraten verzichten wahrscheinlich auf deren Aussagen, weil ein Gerichtsverfahren Monate dauern und in den Wahlkampf geraten könnte. Nun soll der Justizausschuss die Impeachment-Anklage gegen Trump formulieren – wahrscheinlich wegen Betrugs. Noch vor Weihnachten dürfte das Repräsentantenhaus abstimmen. Eine Mehrheit scheint sicher. Die eigentliche Amtsenthebung muss dann aber mit Zweidrittelmehrheit in einem Verfahren im Senat beschlossen werden. Dort haben die Republikaner die Mehrheit. Bisher lehnen sie das Impeachment geschlossen ab. (doe)
 
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