
Der Moment des Innehaltens währte nicht lange. „Das sind verabscheuungswürdige Taten“, hatte der US-Präsident mit getragener Stimme im Weißen Haus gesagt und gefordert: „In dieser Zeit müssen wir zusammenkommen und die klare, unmissverständliche Botschaft aussenden, dass (. . .) politische Gewalt jedweder Art in den USA keinen Platz hat.“
Ein paar Stunden später stand Donald Trump vor 4000 Anhängern in Wisconsin und machte das, was er am liebsten tut: Wahlkampf. Keinen Moment hatte er erwogen, die Kundgebung angesichts mehrerer vereitelter Briefbomben-Anschläge auf Ex-Außenministerin Hillary Clinton und andere politische Gegner abzusagen. „Lock her up!“ („Sperrt sie ein!“) skandierte die Menge schon vor der Rede, und gemeint waren nicht der oder die Attentäter, sondern die frühere Präsidentschaftskandidatin. Entgegen seiner Gewohnheit verkniff sich Trump dieses Mal zwar jede Attacke auf Clinton. Doch ironisierte er sein Verhalten mit der Frage: „Seht Ihr, wie nett ich mich heute verhalte? Habt Ihr das jemals gesehen?“
Bald wurde klar, wen Trump als das eigentliche Opfer der Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft sieht: Nicht die Empfänger der potenziell todbringenden Päckchen, sondern sich selbst. Den Medien gab er einen Teil der Schuld: „Sie stehen in der Verantwortung, einen zivilisierten Ton zu setzen und die endlosen Anfeindungen sowie die ständig negativen und oft falschen Angriffe und Geschichten zu stoppen.“ Ausdrücklich kritisierte er, dass sein Bekenntnis als „Nationalist“ und seine Diffamierung mittelamerikanischer Migranten als „Gewalttäter“ und „Raubtiere“ mit der Sprache Adolf Hitlers gleichgesetzt worden waren: „Niemand sollte politische Gegner mit historischen Verbrechern vergleichen!“
Nicht nur David Axelrod, der ehemalige Chefberater von Präsident Barack Obama, war entsetzt: „Ein zynischer politischer Brandstifter macht die Opfer für das Feuer verantwortlich“, twitterte er erbost. Auch Jeff Zucker, der Präsident des Nachrichtensenders CNN, protestierte: „Es gibt ein vollkommenes und umfassendes Unverständnis des Weißen Hauses für die Ernsthaftigkeit der dauernden Angriffe gegen die Medien. Der Präsident und besonders seine Sprecherin sollten verstehen, dass Worte eine Wirkung haben“, mahnte er.
Obama und das New Yorker Büro von CNN hatten zu den Adressaten von Rohrbomben in wattierten Umschlägen gehört. Auch Hillary Clinton und Ex-Justizminister Eric Holder sollten Päckchen erhalten, die einer Sendung glichen, die am Montag im Briefkasten des Milliardärs und Philanthropen George Soros steckte. Am Donnerstag wurden ähnliche Päckchen in der Post des Hollywoodschauspielers Robert De Niro und des früheren Vizepräsidenten Joe Biden gefunden. In allen Fällen konnten die Sicherheitsbehörden die mutmaßlichen Sprengsätze entschärfen. Nach Angaben der Bundespolizei FBI und der New Yorker Anti-Terror-Einheit befand sich in den mit falschem Absender verschickten Umschlägen jeweils eine einfach gebaute Bombe, die aus einem PVC-Rohr, Schwarzpulver, einer Batterie, einer Uhr sowie Granat- oder Glassplittern bestand, die bei einer Detonation verheerende Wirkung entfalten können. Ob das Gerät beim Öffnen tatsächlich gezündet hätte, wird noch von Experten untersucht. Auch gibt es bislang keine Hinweise auf den oder die Täter und die Motive.
Auffällig aber ist, dass die Päckchen ausnahmslos an Adressaten gingen, die Zielscheibe der politischen Rechten in den USA sind. Die Politiker gehören der demokratischen Partei an. Trump hat diese immer wieder angegriffen und die Demokraten als „Partei der Verbrecher“ bezeichnet. Der Sender CNN ist sein Lieblingsfeind.