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„Trump ist nicht das Ende der Geschichte“
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Das Gespräch führte Gregor Peter Schmitz
 |  aktualisiert: 31.10.2019 02:11 Uhr

Thomas Kleine-Brockhoff ist Vizepräsident des German Marshall Fund, einer US-Denkfabrik. Zuvor arbeitete er viele Jahre als USA-Korrespondent der „Zeit“ und leitete den Planungs- und Redenstab von Bundespräsident Joachim Gauck. Sein Buch „Die Welt braucht den Westen – Neustart für eine liberale Ordnung“ ist in der Edition Körber erschienen. Der Amerika-Experte und Politikberater erklärt im Interview, warum der Westen keineswegs am Ende ist, der aktuelle US-Präsident eine Episode bleiben könnte – und Deutschland es sich sehr bequem macht.

Frage: Muss man Sie sich als einen unverbesserlichen Optimisten vorstellen? Alle schimpfen über Donald Trump und fürchten das Ende des Westens, wie wir ihn kennen. Und Sie sagen, dieser Westen habe eine goldene Zukunft.

Thomas Kleine-Brockhoff: Ich bin kein unverbesserlicher Optimist. Aber in der Politik gibt es nie ein Ende, sondern jeden Tag einen neuen politischen Wettbewerb der Ideen. Es geht jetzt darum, diesen Wettbewerb nicht dem neu erstarkenden Nationalismus und manchmal etwas brachialem Realismus zu überlassen – sondern unsere offene Gesellschaft zu verteidigen und eine Außenpolitik, die einer offenen Gesellschaft angemessen ist.

Wie soll das gelingen, wo ja nicht nur Trump an Oberwasser gewinnt, sondern auch andere Autokraten weltweit?

Kleine-Brockhoff: Wir haben in den industrialisierten Demokratien, die man „den Westen“ nennt, seit 1989 ein goldenes Zeitalter erlebt. Wir haben geglaubt, dass wir dem demokratischen Frieden zustreben, in dem alle so werden wollen wie wir. Vom „Ende der Geschichte“ sprachen manche. Wir haben uns in diesem Glauben gesonnt, ohne zu bedenken, dass andere vielleicht anders denken und auch über Machtmittel verfügen. Wir haben auch nicht erwartet, dass es zu einer Vertrauenskrise in unseren eigenen Gesellschaften kommen würde, die Außenpolitik viel schwieriger macht.

Aber die Kernaussage in Ihrem Buch ist, dass Sie an „den Westen“ glauben und es sich lohnt, für ihn zu kämpfen.

Kleine-Brockhoff: Der allgemeine Abgesang auf den Westen ist bei weitem verfrüht. Viele Leute sehen die Nachkriegsordnung wanken. Zu Recht. Aber aus meinem Verständnis leitet sich der Westen aus der Aufklärung ab und aus den freiheitlichen Prinzipien, die damals rund um das Prinzip des Individualismus etabliert worden sind. Diese Prinzipien sind keineswegs tot, und das hat politische Folgen. Schauen Sie doch nur nach Hongkong, auf die Demonstrationen in Moskau oder den Versuch von Menschen aus Mittelamerika, nach Amerika oder aus Afrika, nach Europa zu kommen. Die gehen ja nicht in irgendwelche reichen Emirate oder nach Singapur, wo sie auch gut leben könnten, sondern sie gehen dahin, wo man gut leben kann und gleichzeitig Freiheit hat. Dafür steht der Westen. Wenn wir selbst Zweifel haben, sollten wir mal diese Leute fragen, was der Westen ist und ob er lebt.

In der Politik gibt es nie ein Ende, sondern jeden Tag einen neuen politischen Wettbewerb der Ideen.

Um diese Vorzüge des Westens zu retten, braucht es laut Ihrem Buch einen „robusten Realismus“. Klingt martialisch.

Kleine-Brockhoff: Wir sollten im Westen weniger versprechen und mehr halten. In der goldenen Zeit seit 1989 hat es eine liberale Überdehnung gegeben, aus dem Glauben heraus, dass wir uns im Westen nicht mehr groß anstrengen müssen, weil ohnehin alle so werden wollen wie wir. Das hat uns bequem gemacht. Wir müssen unsere freiheitlichen Prinzipien aber jeden Tag vorleben, durchhalten und durchsetzen. Das meine ich mit robustem Liberalismus.

Meinen Sie mit nicht gehaltenen Versprechen etwa jenen demokratischen Missionarismus, der Länder wie Irak oder Afghanistan per Invasion in demokratische Musterländer verwandeln wollte?

Kleine-Brockhoff: Da muss man differenzieren. Im Westen würden wir immer für die Prinzipien der Freiheit stehen und auch jenen, die in ihren Ländern nach politischer Freiheit streben, sympathisierend gegenüberstehen. Wir sollten nur eben nicht glauben, dass wir die Kraft und auch das Recht haben, einzugreifen in die Innenpolitik anderer Länder, insbesondere nicht durch militärische Intervention, was auch in den vergangenen 25 Jahren nicht immer zu den besten Ergebnissen geführt hat.

Diese Abkehr vom Missionarismus hat in den USA ja schon unter Barack Obama begonnen, der sich eher auf Probleme daheim konzentrierte. Ist Donald Trump mit seiner Abwendung vom Westen also gar keine so große Ausnahme?

Kleine-Brockhoff: Man betrachtet gerne, was ähnlich ist bei Obama und Trump und übersieht, was unterschiedlich ist. Unterschiedlich ist, dass der eine die liberale internationale Ordnung erhalten wollte mit weniger amerikanischem Input. Der andere empfindet diese als eine Last und möchte sie zerstören. Das ist ein fundamentaler Unterschied.

Aber würde letztere Denkschule verschwinden, wenn Trump nicht mehr im Weißen Haus sitzt?

Kleine-Brockhoff: Trump ist nicht nur eine Verirrung der amerikanischen Geschichte, sein Wahlerfolg gründet auf tief sitzender Globalisierungskritik weiter Teile der Bevölkerung: auf einer Kritik an Handelsregeln, an Migration, auch an militärischer und weltpolitischer Überdehnung. Diese Kritik würde auch nach Trump zunächst mal bleiben, weil man ja einen Präsidenten, aber nicht die Bevölkerung austauscht.

Also liegt doch näher, dass auch mögliche Nachfolger ihm nacheifern würden – gerade in seiner republikanischen Partei, in der er massiven Rückhalt genießt.

Kleine-Brockhoff: Die Wahrscheinlichkeit, dass Trumps Außenpolitik scheitert, ist groß. Er überschätzt Amerikas Macht und unterschätzt die Macht anderer, den amerikanischen Willen zu unterlaufen. Wenn so eine Politik scheitert, merkt das auch die republikanische Partei. Außerdem kann sich Amerika viel rascher wandeln, als wir denken. Denken Sie nur zurück an die Zeit nach dem Watergate-Skandal um Richard Nixon: Vietnam-Krise, Ölkrise, Wirtschaftskrise, Protestbewegungen, Rassenspannungen, eine Machtmissbrauchsaffäre im Weißen Haus – niemand hätte auch nur einen Pfifferling auf die Vereinigten Staaten gegeben. Wenige Jahre später sah das ganz anders aus. Und auch Trump ist nicht das Ende der Geschichte.

Sie zitieren als Beleg dafür, dass sich Trump übernimmt, den sinkenden Anteil Amerikas am Welthandel, verglichen etwa mit der Zeit des Kalten Krieges. Die Wahrnehmung ist aber doch eine andere: Gerade Zukunftsunternehmen wie Apple, Facebook oder Google kommen alle aus den USA. Dem haben wir Europäer wenig entgegenzusetzen.

Kleine-Brockhoff: Amerika ist nicht im Niedergang, sondern in einem relativen Sinkflug, weil der Steigflug der Chinesen so gewaltig ist. Europa ist in einem absoluten Sinkflug, Amerika nicht.

Sie schreiben, China sei die größte Enttäuschung des Westens. Warum?

Kleine-Brockhoff: Wir waren im Westen überzeugt, dass kommunistische Länder, allen voran China, sich dem Gang der Weltgeschichte beugen und den Kommunismus hinter sich lassen würden. Das hatte zur Folge, dass wir, wenn China mal nicht genügend reformierte, also eigentlich immer, Nachsicht geübt haben. Wir glaubten ja, dass das alles ohnehin nur eine Frage der Zeit ist.

Und diese Geduld ist nicht aufgegangen?

Kleine-Brockhoff: Wir haben geglaubt, dass die Despotie viel früher dem Volkswillen und einem verantwortlicheren Regierungssystem weichen würde. Das war eine Fehlannahme. Wir haben 1989 geglaubt, dass Geschichte gemacht wird in Berlin, wo die Mauer fiel, und nicht in Peking, wo auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Panzer rollten. Der zweite Fehlglaube war, dass Technologie und das Internet demokratische Tendenzen in China befördern würden. Wir sind nicht auf die Idee gekommen, dass die auch von Despoten genutzt werden kann – um eine digitale Diktatur aufzubauen.

Hätten wir viel früher mit China härter umgehen müssen? So wie nun Trump?

Kleine-Brockhoff: Nicht alles, was Donald Trump sagt, ist falsch, weil es Donald Trump sagt. Seine Kritik an der chinesischen Handelspolitik ist nachvollziehbar. Die Chinesen haben ihre Versprechen, die sie 2001 bei ihrem Eintritt in die Welthandelsorganisation gemacht haben, in weiten Feldern bis heute nicht eingehalten. Donald Trumps Reaktion darauf ist das Problematische, dass er nämlich unilateral einen Handelskrieg anzettelt.

Was passiert, wenn Trump nächstes Jahr wiedergewählt wird? Muss es dann erst einmal ohne Amerika gehen?

Kleine-Brockhoff: Selbstverständlich ist die nächste US-Wahl für die Bundesrepublik wie viele andere europäische Länder ungemein wichtig. Aber wir werden, egal was die Amerikaner tun, nicht die freiheitlichen Prinzipien und die liberale internationale Ordnung infrage stellen. Allerdings werden unser Einfluss und die Reichweite der freien Welt ohne ein gleichgesinntes Amerika sehr viel geringer sein.

Angela Merkel ist zumindest in der Anfangsphase der Trump-Präsidentschaft gerne als letzte Verteidigerin des „Westens“ dargestellt worden. Hat sie diese Rolle auch nur annähernd ausgefüllt?

Kleine-Brockhoff: Ich hatte den Eindruck, sie hat diese Rolle nie annehmen wollen, weil das natürlich eine völlige Überhebung einer deutschen Bundeskanzlerin bedeutet hätte. Wahr ist, die Bundesrepublik kann heute nicht mehr nur ein Teil des Westens sein, sie muss mehr Westen produzieren, etwa in der Verteidigungspolitik. Und das schreibt der Bundesrepublik eine deutlich größere Rolle zu als früher.

Damit tun wir uns weiterhin schwer.

Kleine-Brockhoff: In Deutschland sind wir die Hauptnutznießer dieser glücklichen Wendung von 1989 zu 1990 gewesen. Auch deshalb, weil wir Deutsche zum ersten Mal in der Moderne das Gefühl haben durften, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Deswegen tun wir uns jetzt so schwer mit der Wiederkehr von geostrategischem Wettbewerb und von reiner Machtpolitik. Das ist eines der großen Umstellungsprobleme deutscher Außenpolitik.

Und die ist durch Trump jetzt gelähmt?

Kleine-Brockhoff: Es gab vorher zumindest einen erweiterten Elitenkonsens, dass Deutschland eine stärkere Rolle in der westlichen Welt einnehmen sollte, vor allem bei dem Versuch, Europa und die Nato zusammenzuhalten. Diese Entwicklung ist in den vorigen Jahren abgebrochen. Wir haben uns gerne in unser Schneckenhaus zurückgezogen. Donald Trump, mit dem wir nicht können, lieferte uns den Vorwand, gar nichts zu tun.

Machen es sich damit die Deutschen nicht zu einfach?

Kleine-Brockhoff: Wir Deutsche haben so viele Nachbarn, wir leben mitten auf einem Kontinent, in dem seit Jahrhunderten teils höchst brutale Machtkonkurrenz herrscht. Wenn jemand ein Interesse daran hat, das Normengerüst des Westens und damit das Prinzip des robusten Liberalismus aufrechtzuerhalten, dann ist es die Bundesrepublik Deutschland.

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Foto: SAUL LOEB (AFP)
 
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