Vor dem Militärhospital Carlos Arvelo versammelten sich am Dienstagabend Hunderte Menschen. Sie konnten es nicht fassen. Der Comandante ist tot. Hugo Chávez verlor den Kampf gegen den Krebs.
„Für mich war er wie einer aus meiner Familie, und er wird es bleiben. Die Regierenden in anderen Ländern sollten lernen, diese Liebe zu geben, die er uns gab“, sagte die Anhängerin Gregoria Jiménez. Chávez hatte es immer verstanden, sich als „Vater der Nation“ zu geben. Und seinen Anhänger folgten ihm. „Wir alle sind Chávez“, skandierten die Menschen vor dem Hospital.
Um 16.25 Uhr (Ortszeit) erlag der 58-Jährige seinem schweren Krebsleiden. Vize-Präsident Nicolás Maduro selbst überbrachte dem Land die Botschaft. „Deine Fahnen werden hochgehalten in Ehre und mit Würde“, sagte der 50-Jährige, den Tränen nahe. Er ist der Ziehsohn und der Wunschnachfolger des gestorbenen Staatschefs, der Lateinamerika veränderte und zur Ikone der Linken wurde. Länder wie Bolivien und Ecuador nahmen ihn zum Vorbild, und Chávez förderte seinen eigenwilligen Sozialismus des 21. Jahrhunderts nach Kräften auch über die Grenzen seines Landes hinweg.
Chávez' Tochter, María Gabriela, dankte für die Anteilnahme. „Ich habe keine Worte. Auf ewig: GRACIAS (Danke)! Kraft! Wie müssen Deinem Vorbild folgen. Wir müssen das Vaterland weiter bauen. Auf immer, papito mio (mein Vati)“, twitterte sie. Gemeinsam mit ihrer Schwester Rosa Virginia hatte sie ihren Vater immer wieder in den schweren Stunden in Havanna besucht, von wo er am 18. Februar nach Caracas zurückkehrte. Was viele ahnten, wurde jetzt Wahrheit. Chávez kam in die Heimat, um zu sterben.
Was nun kommt, ist ungewiss. Doch schreibt die Verfassung im Todesfall des Präsidenten die Ausrufung von Neuwahlen binnen 30 Tagen vor. Maduro wird als Kandidat antreten ausgestattet mit dem Segen von Chávez. Obwohl der Tod nicht wirklich überraschend kam, ist bei der Opposition noch kein Einheitskandidat in Sicht. Die Frage lautet: Ist ein Chavismus in Venezuela ohne Chávez möglich? Die Sozialisten sind zuversichtlich. Venezuela wählte zwei Mal klar rot. Das weiß auch die Opposition.
Bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober gewann Chávez mit über 55 Prozent. Die Sozialprogramme der Regierung haben auch ohne Chávez Bestand. In einigen lateinamerikanischen Ländern wird die Entwicklung in Venezuela mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet. Chávez hatte aufgrund des immensen Ölreichtums Venezuelas nicht mit finanziellen Hilfen für sozialistische Bruderländer gespart, was vor allem die Wirtschaft in Kuba an Leben erhielt.
Kritiker warfen Chávez immer wieder diktatorisches und undemokratischen Gebaren vor. Ob es einem aber passt oder nicht, Chávez war ein demokratisch gewählter Präsident, dem die Mehrheit der Venezolaner folgte. Er musste sich weder Putschisten beugen noch bei den vielen Wahlen der Opposition. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, die wie viele andere Staatschefs am Freitag zur Trauerfeier nach Caracas reist, brachte wohl den Gedanken vieler Linkspolitiker auf den Punkt, als sie Chávez als „großen Lateinamerikaner“ würdigte.
Die iranische Regierung hat einen Trauertag ausgerufen. Präsident Mahmud Ahmadinedschad nannte seinen verstorbenen Amtskollegen Chávez ein „Symbol des Widerstands gegen den Imperialismus“.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat den Tod von Chávez als „tiefen Einschnitt“ für das südamerikanische Land gewertet. „Venezuela hat ein großes Potenzial, und Demokratie und Freiheit sind der richtige Weg, um dieses Potenzial zu verwirklichen.“ Frankreichs Staatschef François Hollande hat Chávez als streitbaren Kämpfer für Gerechtigkeit bezeichnet. „Der verstorbene Präsident stand für sein Temperament und für Orientierungen, die nicht von jedem geteilt wurden, aber darüber hinaus für einen nicht zu leugnenden Willen, für Gerechtigkeit und Entwicklung zu kämpfen.“
Chávez und sein Venezuela
Im Jahr 1999 kam Hugo Chávez ins Amt und war mit 44 Jahren der jüngste Präsident in der Geschichte Venezuelas. Mit großer Klappe, Ölmilliarden und neuen Bündnissen kämpfte Chávez für den Sozialismus.
Seine sonntägliche Fernsehshow „Aló, Presidente“ war legendär. Mit stundenlangen Tiraden zog Chávez viele Zuschauer in den Bann. Seine Anhänger bejubelten die Attacken gegen die USA, seine Gegner wandten sich entsetzt ab. Vor allem die ärmeren Bürger im Erdölland Venezuela schworen auf Chávez und seinen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“.
Der Sohn eines Dorfschullehrers stammte selbst aus kleinen Verhältnissen. Mit 17 begann er seine militärische Laufbahn, die ihn bis zum Oberstleutnant führte. Damit untrennbar verbunden war sein politisches Engagement.
Als Chef einer Elitetruppe der Fallschirmjäger unternahm er 1992 einen Putschversuch gegen die als korrupt geltende Regierung und scheiterte. Die kurze Fernsehansprache, in der er allein die volle Verantwortung übernahm, machte ihn schlagartig bekannt und bei vielen Landsleuten populär. Für zwei Jahre musste er ins Gefängnis. In der Haft beschloss er, über die Wahlurnen an die Macht kommen zu wollen. Jahrelang zog Chávez von Dorf zu Dorf, traf sich mit Lokalpolitikern und Aktivisten. 1997 gründete er die „Bewegung 5. Republik“, die traditionelle Linksparteien, Ex-Guerilleros, ehemalige Militärs, Professoren und Vertreter aller politischen Lager umfasste. Daraus formte er eine Wahlplattform.
Als gewählter Staatschef zog er 1999 in den Präsidentenpalast Miraflores ein. Das südamerikanische Land lebt vom Erdöl. Vor Chávez waren große Teile der Bevölkerung von den Erträgen ausgeschlossen. Chávez' größter Erfolg ist, die einst ausgegrenzte Mehrheit der 30 Millionen Venezolaner über millionenschwere Sozialprogramme an den Erdölerlösen teilhaben zu lassen.
Außenpolitisch tat er sich vor allem als Kritiker der USA hervor. Chávez nannte den früheren US-Präsidenten Georg W. Bush einen Teufel und die USA „die größte Gefahr für unseren Planeten“. 2005 stoppte er mit dem argentinischen Präsidenten Néstor Kirchner den US-Traum von einer kontinentweiten Freihandelszone von Alaska bis Feuerland. Zusammen mit Kuba entstand die „Bolivarianische Allianz“, die auf Venezuelas Öl basiert. Text: epd