Julia Klöckner hat entweder ein gutes Archiv – oder ein gutes Gedächtnis. Die politische Woche in Berlin hat am Montag noch gar nicht richtig begonnen, da hat die stellvertretende CDU-Vorsitzende bereits ein paar Sätze von SPD-Chef Sigmar Gabriel aus dem Internet gefischt, die so ganz anders klingen als das, was dessen Partei gerade beschlossen hat. In Grenznähe sollten zwei große Wartezonen entstehen, in denen Flüchtlinge registriert und verteilt würden, fordert Gabriel da. Und fügt hinzu: „Weder das eine noch das andere wird bislang schnell und umfassend umgesetzt.“ Das klingt verdächtig nach den Transitzonen der Union, dem neuen Reizthema der Koalition. Vor dem nächsten Treffen der Parteivorsitzenden am Donnerstag ist schließlich nur ein Konflikt beigelegt: der zwischen den Unionsschwestern. Ob, wann und worauf sie sich nun mit den Sozialdemokraten verständigen, ist nach dem ersten Gipfeltreffen vom Sonntag so unklar wie davor. Eine Bestandsaufnahme:
Wie immer nach solchen Treffen fühlt sich jeder Teilnehmer als Sieger – oder tut zumindest so. Die Kanzlerin hat sich nicht auf eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlinge festlegen lassen, wie der CSU-Chef sie fordert. Seehofer wiederum hat ihr seine Transitzonen aufgezwungen, von denen Angela Merkel bislang nicht viel gehalten hat. „Für den Moment bin ich zufrieden“, sagt er. „Aber wir haben noch ein gehöriges Stück Arbeit vor uns.“ Noch vor wenigen Wochen hatte die Kanzlerin betont, es liege nicht in ihrer Macht, wie viele Menschen nach Deutschland kämen. Mit ihrem Ja zu den Transitzonen verabschiedet sie sich nun ein Stück weit von dieser Logik des Unvermeidlichen: Sie sind der Versuch, den Strom der Flüchtlinge zu bremsen.
Noch nicht allzu gut. Die SPD lässt keine Gelegenheit aus, die geplanten Transitzonen als Massengefängnisse zu kritisieren, in denen Flüchtlinge vorübergehend zu Häftlingen würden. Von „unmenschlich“ über „schäbig“ bis „unsäglich“ reichen die Adjektive, die prominente Sozialdemokraten in diesem Zusammenhang verwenden. Gerda Hasselfeldt dagegen, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, hält das für einen Popanz. Die Flüchtlinge würden nicht inhaftiert, kontert sie, „weil man sehr wohl raus kann – in die Richtung des Landes, aus dem man kommt.“ Die schärfsten Töne auf Unionsseite schlägt der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich an. Wenn die SPD noch einen Funken von Verantwortungsgefühl habe, verlangt er, dann müsse sie nun den Transitzonen zustimmen.
Im Prinzip geht es darum, ob Flüchtlinge mit guten Aussichten auf Asyl und Bewerber ohne jede Chance schon an der Grenze voneinander getrennt werden oder erst nach der Einreise in die Bundesrepublik. Die SPD will dazu in bereits bestehenden Einrichtungen neue Anlaufstellen schaffen, in denen die Flüchtlinge registriert und die Verfahren beschleunigt werden. „Bei offensichtlich erfolglosen Anträgen“, sagt Justizminister Heiko Maas, „kann die Ausreise auch direkt aus den Einreisezentren erfolgen.“ CDU und CSU dagegen würden mithilfe von Schnellverfahren gerne schon an der deutsch-österreichischen Grenze entscheiden, wen sie ins Land lassen. Asylbewerber aus sicheren Ländern wie Serbien, Mazedonien oder Albanien sollen bereits in den Transitzonen abgewiesen werden – das sind große Aufnahmestationen, in denen alle Flüchtlinge so lange bleiben müssen, bis die Erfolgsaussichten ihres Antrages geprüft sind, also häufig Wochen, wenn nicht gar Monate. Nach den Worten von Gabriel sind zwischen 40 und 50 Prozent, die nach Deutschland gekommen sind, noch nicht registriert worden.
Das ist schwer, aber nicht unmöglich. Denkbar wäre zum Beispiel, Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, dem Irak oder Eritrea zügig durch die Transitzone oder sogar an ihr vorbei nach Deutschland einreisen zu lassen und an der Grenze nur die Asylbewerber vorübergehend zu kasernieren, die aus sicheren Herkunftsländern kommen, offensichtlich einen falschen Pass besitzen oder überhaupt keine Papiere. Das aber ist, wie Gabriel betont, eine verschwindend kleine Minderheit: „Wir reden hier über 2,4 Prozent der Flüchtlinge.“