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ROTTERDAM
Thalys aus Angst vor Terroranschlag gestoppt
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 18.09.2015 18:53 Uhr

Um kurz nach sieben Uhr an diesem Freitagmorgen ist die Angst vor dem Terror plötzlich wieder da. Nur wenige Augenblicke, bevor der Thalys-Hochgeschwindigkeitszug THA 9310 den Hauptbahnhof Rotterdam verlassen soll, stürmt ein junger Mann mit einem Rucksack auf den Bahnsteig 3, läuft auf den Wagen 16 zu und springt hinein. Polizisten hetzen ihm hinterher, versuchen ihn zu stoppen. Sie kommen zu spät, der junge Mann sperrt sich in der Toilette ein. Ein Passagier will eine Waffe in seiner Hand gesehen haben. Die Beamten lassen den Zug räumen, rund 300 Passagiere werden in Sicherheit gebracht, ein Anti-Terror-Team der niederländischen Polizei rückt an, Rotterdam Centraal wird gesperrt, andere Züge rollen aus dem Bahnhof, Scharfschützen gehen in Stellung. Über zwei Stunden später wird der Mann festgenommen. „Er hatte Angst vor den Sprengstoff-Hunden unserer Einsatzkräfte“, sagte Polizeisprecherin Patricia Wessels, als alles vorbei ist. Eine Waffe wird nicht gefunden, auch kein Sprengstoff. „Wir mussten reagieren“, begründet Wessels die Aktion. „Wir konnten nicht einschätzen, wie groß die Gefahr wirklich war.“

Es schien wie eine Neuauflage des Albtraums vom 21. August, als ein schwer bewaffneter Mann ebenfalls an Bord eines Thalys von Amsterdam nach Paris nur durch das beherzte Eingreifen von Fahrgästen daran gehindert werden konnte, ein Blutbad unter den Passagieren anzurichten. Dennoch wurden mehrere Reisende verletzt. Der 25-jährige Marokkaner wollte eine „große Zahl Menschen töten oder schwer verletzen“, resümierte damals die französische Staatsanwaltschaft.

Aktion gibt Rätsel auf

Die Aktion in Rotterdam gibt Rätsel auf. Der verhaftete junge Mann wird zunächst in ein Krankenhaus gebracht, weil er zu hyperventilieren drohte. Ob es sich wirklich um einen Extremisten oder nur einen verirrten Fahrgast gehandelt hat – die Polizei konnte bis zum Freitagnachmittag noch keine genaueren Angaben machen. Doch die Nervosität bleibt. Vor allem als die Rotterdamer Sicherheitsbehörden hören, dass eine gute Stunde später – genau zu der Zeit, als der Thalys 9310 eigentlich die belgische Metropole Antwerpen erreichen sollte – auf einem dortigen Bahnsteig ein verdächtiges Gepäckstück gefunden wird. Auch in Belgien räumt man die Bahnhofshalle, stoppt den Zugverkehr, Spezialisten zur Entschärfung von Sprengstoffen rücken an.

Der schlimme Verdacht eines Zusammenhangs mit Rotterdam wird zunächst nicht bestätigt. Doch die Auswirkungen sind schwerwiegend.

Schon in den vergangenen Tagen und als Konsequenz aus den Schüssen vom 21. August hatten die niederländischen und belgischen Behörden die Überwachung der Thalys-Züge drastisch verschärft. Bewaffnete Polizisten nehmen inzwischen die Bahnsteige und die Reisenden in Augenschein, wenn die roten Hochgeschwindigkeitszüge einfahren, Sprengstoffhunde laufen zwischen den Gepäckstücken hin und her. Nach der Abfahrt durchkämmen Polizisten mit schusssicheren Westen jeden einzelnen Waggon.

Lückenhafter Schutz

„Wir wollen den freien Reiseverkehr schützen“, heißt es dazu bei den belgischen und niederländischen Sicherheitsbehörden. Doch dieser Schutz hat große Lücken. Weder in Köln noch in Aachen, den beiden deutschen Thalys-Stationen, gibt es vergleichbare Sicherheitsvorkehrungen. Anfang September hatten sich die Innenminister der EU auf mehr Kontrollen im Zug und eine Einführung von Namenstickets verständigt. Aber die gehören bei den Highspeed-Zügen ohnehin längst zum Alltag, weil sie reservierungspflichtig sind.

Außerhalb Deutschlands müssen die Fahrgäste schon seit Jahren ihre Tickets vor dem Einstieg vorzeigen. Nur an den deutschen Bahnhöfen kann man nach wie vor den Thalys besteigen, ohne sich ausweisen zu müssen.

Zumindest bisher wollen die Innen- und Verkehrsminister von generellen Sicherheitskontrollen nichts wissen, obwohl diese in Spanien und an allen Stationen des Eurostar Richtung Großbritannien praktiziert werden. Ob sie nun ausgeweitet werden? „Ich hatte fürchterliche Angst“, sagte am Freitag die Niederländerin Karin Dijkkers, als sie vor den Absperrungen am Rotterdamer Bahnhof darauf wartete, endlich weiter nach Paris fahren zu können. Und die Französin Carole Monnier, die ihre Reise nach Brüssel nicht fortsetzen wollte, meinte: „Es ist nichts passiert, ich bin sehr froh. Aber ich möchte, dass mehr getan wird. Ich werde noch lange Angst davor haben, wieder in einen Zug zu steigen.“

 
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