Horror und Entsetzen in Ägypten. Mit einem verheerenden Doppelanschlag in Tanta und Alexandria haben offenbar zwei Selbstmordattentäter am Sonntag mindestens 41 Menschen mit in den Tod gerissen und mehr als 120 verletzt. Die Terrortat in der voll besetzten Kirche St. Georg in Tanta, einer Stadt im Nildelta, ereignete sich während des Gottesdienstes am Palmsonntag, mit dem im christlichen Kalender die Karwoche vor Ostern beginnt.
Ein Video unmittelbar vor der Explosion zeigt einen Männerchor beim Gesang, als plötzlich ein lauter Knall zu hören ist und die Bilder abbrechen. Auf Fotos nach dem Anschlag sind eilends mit Papier abgedeckte Leichen zu sehen, blutbespritzte Kalkwände und zerfetzte Kirchenbänke. Nach ersten Erkenntnissen der Ermittler wurde die Bombe in den vorderen Reihen und damit möglichst nahe am Altar gezündet. Es gab mindestens 25 Tote.
Kurze Zeit später explodierte eine weitere Bombe nahe der Kathedrale St. Markus in Alexandria, allerdings außerhalb des Gotteshauses. Dieser Anschlag, der mindestens 16 Menschen das Leben kostete, darunter mehreren Polizisten, galt offenbar dem koptischen Papst Tawadros II., der die Bischofskirche jedoch kurz zuvor nach Ende der liturgischen Feier verlassen hatte. Das Oberhaupt der Kopten blieb unverletzt, wie die Kurie in Kairo am Nachmittag bestätigte.
Der Palmsonntagsgottesdienst erinnert an den Einzug Jesu nach Jerusalem, bei dem ihm die Bewohner zunächst huldigten, um ihn dann wenige Tage später als Gotteslästerer ans Kreuz zu schlagen.
Die Mordtaten von Ägypten, die weltweit Abscheu und Empörung auslösten, sind der bisher schwerste Terrorangriff auf die koptische Minderheit, die etwa zehn Prozent der rund 92 Millionen Einwohner ausmacht. Am Nachmittag bekannte sich der „Islamische Staat“ über seine Amak-Website zu den Anschlägen. Erst im vergangenen Dezember hatte sich ein Selbstmordattentäter an einem Sonntagmorgen in der St.-Peter-und- Paul-Kirche im Zentrum von Kairo in die Luft gesprengt und 29 Gläubige, vor allem Frauen und Kinder, getötet. Auch damals bezichtigte sich die IS-Terrormiliz als Urheber.
Im Februar verübten dessen Gotteskrieger dann auf dem Nordsinai eine spektakuläre Mordserie an Christen. Als Folge flohen praktisch alle dort lebenden 2500 Kopten in Panik in das Niltal, wo sie seitdem in provisorischen Unterkünften hausen. Staaten der arabischen Welt wie Jordanien, Katar und Bahrain verurteilten die Selbstmordanschläge. Libanons Premierminister Saad Hariri, dessen Land mit den Maroniten ebenfalls eine bedeutende Minderheit von Christen hat, nannte die Tat einen „Angriff auf die Werte aller Religionen“.
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi rief den Nationalen Verteidigungsrat des Landes zusammen. Die staatliche sunnitische Hochschule Al-Azhar sprach von einem „widerlichen Verbrechen gegen alle Ägypter, das sämtliche Prinzipien von Menschlichkeit und Zivilisation verhöhnt“. Außenminister Sigmar Gabriel forderte, das Kalkül der Täter, einen Keil in das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen zu treiben, dürfe nicht aufgehen.
Papst Franziskus, der am 28. und 29. April zu einem zweitägigen Besuch in Kairo erwartet wird, übermittelte dem koptischen Oberhaupt Tawadros II. und der gesamten ägyptischen Nation sein Beileid. Möge Gott die Herzen derjenigen bekehren, „die Terror, Gewalt und Tod verbreiten“ und „die Waffen produzieren und damit Geschäfte machen“, sagte er beim Mittagsgebet nach dem Palmgottesdienst im Petersdom. Weil in diesem Jahr das katholische und orthodoxe Ostern auf den gleichen Termin fallen, feierten am Sonntag auch die westlichen Kirchen die Palmliturgie.
„Ein widerliches Verbrechen gegen alle Ägypter, das sämtliche Prinzipien von
Menschlichkeit und Zivilisation verhöhnt.“
Papst Franziskus ist neben dem katholisch-orthodoxen auch der christlich-islamische Dialog ein besonderes Anliegen. Mit seiner geplanten Kairo-Reise erwidert der Pontifex die Visite des obersten sunnitischen Glaubenshüters, Großimam Ahmed al-Tayyeb, im Mai 2016 im Vatikan. Beide Kirchenführer wollen mit ihrem Treffen ein Zeichen setzen gegen Fanatismus und Gewalt in Namen von Religion.
Dabei warnt Franziskus jedoch immer wieder vor pauschalen Urteilen über den Islam. Die Gewalt werde von Extremistengruppen verübt und dürfe keinesfalls der gesamten Religion zugerechnet werden, sagte er.