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Tauchfahrt in die Gene
Die Forschung an dem Urzeitfisch fasziniert, weil das Tier viel über die Evolution erzählt. Doch genau das verärgert den ein oder anderen: Der Würzburger Professor Manfred Schartl bekam böse E-Mails.
Zusammentreffen der Welten: Der moderne Mensch taucht als Landwesen im tiefen Blau des Indischen Ozeans, fasziniert vom Quastenflosser, dem lebenden Vertreter einer Art aus dem Erdaltertum.
Foto: Blancpain | Zusammentreffen der Welten: Der moderne Mensch taucht als Landwesen im tiefen Blau des Indischen Ozeans, fasziniert vom Quastenflosser, dem lebenden Vertreter einer Art aus dem Erdaltertum.
Von unserem Redaktionsmitglied Angelika Becker
 |  aktualisiert: 21.06.2013 19:53 Uhr

Haben Sie als Kind auch diese winzigen Urzeitkrebse, die Triops aus den Experimentierkästen für „aufgeweckte und wissensdurstige Buben und Mädchen“, in einer Schüssel Wasser zum Leben erweckt? Und ein Kribbeln gespürt bei der Berührung mit der Vorzeit? Gut, ein bisschen Fantasie und einiger Forscherdrang waren dafür schon notwendig. Eine Menge davon muss auch Professor Manfred Schartl haben. Am Biozentrum der Würzburger Universität beschäftigt er sich zwar nicht mit kleinen Krebsen, aber mit großen Fischen aus der Urzeit, Zeitzeugen von vor über 400 Millionen Jahren, den Quastenflossern.

Forschung am Computer

Seit schier ewiger Zeit schwimmen die großen bis zu 100 Kilogramm schweren Tiere so langsam in der Tiefe, dass sie täglich nur ein paar Gramm Futter brauchen. Sie galten lange als seit 70 Millionen Jahren ausgestorben, bis 1938 ein Fischer vor der südafrikanischen Küste einen unbekannten Fisch im Netz hatte, ein lebendes Exemplar des Quastenflossers. „Das war eine Überraschung – etwa so, als wenn im Wald am Würzburger Hubland ein Saurier auftauchen würde“, sagt Schartl.

Die Fischart aus dem Erdaltertum hatte die Saurier entstehen und aussterben sehen, hatte die Entwicklung des Menschen erlebt, Trocken- und Eiszeiten überstanden, war schon auf der Welt, als sich die Meere zurückzogen und die Alpen auffalteten. Er überlebte Massensterben nach katastrophalen Vulkanausbrüchen und Asteroideneinschlägen. Irgendwo verdöste der Quastenflosser die Evolution und trifft nun als lebendes Fossil auf Biochemiker und Genetiker wie Manfred Schartl.

Der ist ein Detektiv im Dienst der Wissenschaft. In einem weltweiten Netzwerk von Forschern untersuchte er in den vergangenen beiden Jahren die Gene des Urzeittiers, das ihn interessiert, weil es so nah verwandt ist mit dem Ursprung aller Landlebewesen. Es bereitete sich vor über 400 Millionen Jahren darauf vor, den Sprung an Land zu wagen. Für seine Forschung tauchte Schartl nicht in den Weltmeeren, sondern blickte in die Tiefen der Erbsubstanz des königsblauen Knochenfischs.

Die Glastür zum Flur vor dem Büro des Professors ist verschlossen. Ein Schild warnt vor Radioaktivität. Die Mitarbeiterin öffnet und führt uns hinein. Schartl drückt ein paar Tasten auf seiner Computertastatur und dann sehen wir sie: Endlos wirkende lange Reihen von Buchstaben auf dem Bildschirm, entstanden in einem Genlabor in den USA. So sieht das Genom des Quastenflossers aus, oder zumindest die digitalisierte Darstellung der Erbgutmoleküle. Sehr nüchtern. Die aus Kindertagen mitgebrachte Triops-Begeisterung bekommt einen Dämpfer.

Doch Schartl sagt: „Es gibt keinen spannenderen und interessanteren Fisch auf der Welt.“ Und zeigt auf die verschiedenen Farben der Buchstaben auf dem Bildschirm. Nicht nur Quastenflosser-Gene sind dargestellt, sondern parallel die anderer Lebewesen. Und allmählich entsteht auch für Laienaugen ein Bild. Es wird deutlich, wie sich die Buchstaben und die Verteilung der Farben gleichen: Der Fisch und der Mensch sind sich erstaunlich ähnlich.

„Die Genabschnitte sind ähnlich lang und ähnlich in der Zusammensetzung“, sagt Schartl. Die Flossen des Fisches etwa stehen im genetischen Bauplan an der gleichen Stelle wie die Glieder des Menschen. Das Gehirn des Quastenflossers unterscheidet sich bereits von dem anderer Fische.

Kritik der Kreationisten

Vieles, was ein Landwesen braucht, findet sich bei ihm. So ist die Fähigkeit vorbereitet, per Luft übertragene Gerüche wahrzunehmen. Und er produziert Enzyme, die für den Stickstoffkreislauf an Land wichtig sind.

Das klingt vielleicht spitzfindig wissenschaftlich, hat aber gesellschaftliche Brisanz. Die Veröffentlichung der Erkenntnisse in Fachzeitschriften erzeugte jedenfalls Wut. „Ich bekam böse Mails aus aller Welt“, sagt Schartl. Die Gene der Jahrmillionen alten Fischart bestätigen nämlich einmal mehr die Evolutionstheorie Charles Darwins. Diesem bereiteten lebende Urwesen einst Kopfschmerzen, weil sie nicht in die Kette der stetigen Veränderungen passten. Die Gene zeigen nun: Die Veränderungen sind da, nur äußerlich nicht zu erkennen.

„Die scheinbar unveränderlichen lebenden Fossilien passten wunderbar als Argumente für die Kreationisten“, sagt Schartl. Und solche Anhänger einer Theorie der göttlichen Schöpfung regten die Forschungsergebnisse jetzt auf. „Glauben Sie das selbst, was Sie da schreiben“, las Schartl in einer E-Mail. Oder: „Was Leute alles für wissenschaftlichen Ruhm tun . . .“

Ob die Forschung Ärger oder Begeisterung herausfordert – der Quastenflosser gehöre zu einer charismatischen Spezies, sagt der Professor. Eben weil er über die Entwicklung des Lebens auf der Erde erzählt. „Wir sind Teil davon und wollen sie verstehen.“ Wissenschaft sieht er dabei als Teil der menschlichen Kultur. Auch wenn teuere Forschung keine wirtschaftlich oder medizinisch verwertbaren Ergebnisse bringt, habe sie ein Bedeutung für die Gesellschaft. „Wie eine Beethoven-Symphonie.“

Und wie Konzertbesuche gönnt sich Schartl auch die Beschäftigung mit dem Quastenflosser. „Aus reiner Forschungsfreude, damit man nicht schwermütig wird.“ Seine wissenschaftliche Hauptarbeit konzentriert er nämlich auf den schwarzen Hautkrebs. Den untersucht er ebenfalls mit Hilfe von Fischen, munteren kleinen Gesellen namens Xiphophorus.

Mit dem U-Boot in die Urzeit

Und nun tauchen wir doch noch ab. Wir fahren im Biozentrum der Uni hinunter zu den Versuchstieren der Physiologischen Chemie, die sich mit den chemischen Vorgängen in Lebewesen befasst. Vorbei an einer bemalten Betonwand, die eine stilisierte Meeresszene mit lebensgroßen bunten Fischen darstellt, kommen wir zu dem blau erleuchteten Raum mit den vielen Reihen von Aquarien. Die Fische hat Schartl zum Teil selbst in mexikanischen Höhlen gefangen, zusammen mit seinem Freund, dem Meeresforscher und Tierfilmer Hans Fricke.

Der Biologe Fricke, der bei Exkursionen mit den Forschungs-U-Booten Geo und Jago vor über 20 Jahren den Quastenflosser als Erster in seinem natürlichen Lebensraum entdeckte und beobachtete, begeisterte Schartl für die Forschung an dem lebenden Urtier. „Er ist einer der letzten Enthusiasten“, sagt der Würzburger Professor. Immer wieder brachte ihm Fricke Proben mit, Schuppen des Urtiers in Alkohol eingelegt. „Wir leben in der Evolutionsbiologie von Vorannahmen, für die wir Bestätigungen suchen, und mit dem Quastenflosser legt uns die Natur sozusagen ein Experiment hin“, sagt Schartl in wissenschaftlich nüchternem Ton.

Ein bisschen weniger sachlich klingt er allerdings schon, als er von seinen Plänen spricht. Im Herbst oder Winter möchte Hans Fricke mit einem neuen kleinen U-Boot vor Indonesien nach einer Quastenflosser-Gesellschaft tauchen. „Und er hat mich eingeladen“, sagt Schartl. „Beim nächsten Tauchgang nimmt er mich mit.“ Wer träumte in jungen Forschertagen nicht von einer solchen Reise ins tiefe Blau der Urzeit?

Der Quastenflosser

Nur ein paar Versteinerungen zeugten lange Zeit von der Existenz des Quastenflossers, die jüngsten sind 70 Millionen Jahre alt. 1938 wurde das erste lebende Exemplar entdeckt. „Wir wüssten gerne, was dazwischen war“, sagt Professor Manfred Schartl vom Würzburger Biozentrum. Von Vergleichen zwischen Quastenflossergruppen in afrikanischen und indonesischen Gewässern erhofft sich die Wissenschaft Antworten dazu. Das Spannende am Quastenflosser ist, dass er sich in Jahrmillionen kaum verändert hat und als Vorläufer der ersten Landlebewesen gilt. Das war der Grund, seinen Bauplan zu untersuchen. Sein Genom besteht wie beim Menschen aus rund drei Milliarden Bausteinen. Noch näher verwandt mit den Land- und Luftwesen ist der Lungenfisch. Doch der hatte ein wesentlich abwechslungsreicheres Leben als die Quastenflosser in ihren Nischen und hat sich deshalb stark verändert. Sein Bauplan ist für die heutige Technik noch zu groß.

Evolutionsforscher: Professor Manfred Schartl aus Würzburg
Foto: Angelika Becker | Evolutionsforscher: Professor Manfred Schartl aus Würzburg
 
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