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MAINFRANKEN
Tätowierungen: Bilder auf der Haut haben jetzt Saison
Früher waren Tattoos nicht gesellschaftsfähig. Heute tragen viele junge Leute den Langzeit-Körperschmuck mit Stolz. Einblicke bei einer sommerlichen Erkundungstour.
Von unserem Mitarbeiter Stefan Römmelt
 |  aktualisiert: 11.02.2024 15:30 Uhr

Sommerzeit – Körperzeit. In keiner anderen Jahreszeit sieht man so viel nackte Haut wie jetzt – der Sonne sei Dank. Am Flussufer und im Freibad. Am Stadtstrand und am Baggersee. Hier kommen auch die kleinen und großen Tattoos ans Tageslicht, die Nacken, Brust und Arme, Bauch, Beine und Füße zieren. Mal bunt, mal schwarz-weiß. Mal geometrisch, mal figürlich.

Doch wieso sitzen meist junge, völlig unterschiedliche Männer und Frauen stundenlang beispielsweise in den vier Aschaffenburger, fünf Würzburger und drei Schweinfurter Tattoo-studios und bezahlen Hunderte Euro für Schmerzen? Und was sagen sie dazu, dass die Tätowierungen mit ihnen altern?

„Ich hab' halt Angst, dass ich das Tattoo nicht mehr toll finde, wenn ich erwachsen bin“, sagt beispielsweise der 16-jährige Samy Kilian aus Würzburg – und bleibt untätowiert. Schmerzen, Kosten, Hautalterung – mit diesen Problemen haben sich die Tattooträger zwar auch beschäftigt. Aber dennoch haben sie ihre Haut für den ganz individuellen Körperschmuck hingehalten. Die Gründe sind ganz unterschiedlich: Liebe, Passionen, Ästhetik.

Brigida Campion aus Marktbreit ist 29 und hat 2011 geheiratet. Als passionierte Wassersportlerin hatte sie ständig Probleme mit ihrem goldenen Ehering: „Das Gold hat sich immer verfärbt.“ Deswegen hat sie sich vor eineinhalb Jahren im kalifornischen La Habra entschlossen, sich ihren Ehering eintätowieren zu lassen. „Die Form ist genau die Form meines Rings. Wenn ich den Ring trage, kann ich das Tattoo überhaupt nicht sehen“, sagt die Deutsch-Amerikanerin.

Nicht Liebe, sondern eine andere Leidenschaft war bei der 23-jährigen Melanie Kraus aus Würzburg der Auslöser für den Gang zum Tätowierer. „Ich wollte es schon, seit ich zwölf bin“, berichtet die Verkäuferin. „Es hat viel mit der Musikrichtung zu tun, die ich da gehört habe, und mit den Menschen, die ich getroffen habe.“ Punk Rock, die Band Linkin Park und Marilyn Manson, darauf steht Melanie Kraus. Die Tätowierungen, die Kraus jetzt trägt, entführen in fantastische Welten. „Märchenhaft“, „Alice im Wunderland“, „Tim-Burton-Style“, so beschreibt sie die bunten Bilder auf ihren Oberarmen.

Melanies 23-jähriger Kumpel Tobias Kochan aus Retzbach, der neben ihr im Dallenbergbad liegt, hat sich für einen ganz anderen Stil entschieden. Die Oberarme des Zimmermanns schmücken Motive im japanischen Stil: Drachen, Lotosblüten und Totenschädel. „Ich ginge gerne mal nach Japan und hab' mich auch darüber informiert, wie das in Japan entstanden ist.“ Was gar nicht geht? „Sterne. Chinesische Schriftzeichen. Und Tribals, also geometrische Muster“, sagt Kochan. „Die drücken für mich einfach nicht viel aus.“

Das sieht Stefan Ebner anders. Der 34-jährige Rottendorfer ist stolz auf das geometrische Muster auf seiner linken Schulter – sein erstes Tattoo. „Ich lasse mich jetzt schon seit 17 Jahren tätowieren und bin immer noch nicht fertig“, sagt der Maschinenbaumechaniker. Mittlerweile schmücken auch zahlreiche Frauenköpfe seinen Körper. „Es wird schon zur Sucht“, gesteht Ebner. „Da denkt man, da fehlt was. Und da fehlt was.“ Dass das „Proll-Klischee“ in Würzburg noch lebendiger sei als anderswo, findet er, es stört ihn aber nicht. Zeigefreudig gibt sich auch ein paar Meter weiter Makoto, ein bekennender Japanfreund und schminkfreudiger Fan des lilafarbenen Leopardenmusters. Als Elf-, Zwölfjähriger habe er sich mit Klingen geritzt. Die normalen Tätowierungen kamen dann später: „Meistens finden die Leute es interessant.“ Besichtigen kann man seine Tattoos auch im Internet – 3000 Bilder stehen auf Makotos Facebook-Profil. Auf der anderen Mainseite sonnt sich gerade ein Tattoo-Gesamtkunstwerk. „Ich wollte eigentlich schon mit 14, 15 ein Tattoo“, erzählt Ilker Aribas. „Ich bin froh, dass ich erst spät damit angefangen habe. Damals wäre viel Unsinn herausgekommen.“ Sein erstes Tattoo hat sich der 24-jährige Würzburger dann vor drei Jahren stechen lassen. „Ich finde Tätowierungen einfach schön. Sie haben mir schon immer gefallen.“

Die Erfahrungen, die er beim Stechen gemacht hat, waren ziemlich unangenehm: „Es tut saumäßig weh“, berichtet Ilker. „Jeder, der behauptet, es tut nicht weh, der lügt.“ Nach drei Stunden seien die Schmerzen einfach unerträglich gewesen. Aber das hat ihn nicht davon abgehalten, einen Großteil seines Körpers mit Tattoos verzieren zu lassen. „Der Prozess ist nicht der Knüller. Aber ich bin ergebnisorientiert, weil man sich auf das Ergebnis freut.“ Und wenn man schon vier, fünf Tattoos habe, koste der nächste Schritt keine Überwindung mehr.

„Ich hab' halt Angst, dass ich das Tattoo nicht mehr so toll finde, wenn ich erwachsen bin.“
Samy Kilian (16) aus Würzburg

Anders als viele andere hat Ilker aber ein Gesamtkonzept für seinen Körperschmuck – und das hat ihn bisher schon einige Tausend Euro gekostet. Quer über seine Brust steht auf Türkisch „Meine Entscheidung“: „Mir war von Anfang an klar, dass es eine Höllenseite geben wird und eine Himmelsseite.“

Die Hölle ist schon fertig. Auf Ilkers linkem Oberarm lauern Spinnenköpfe, und am Ellenbogen hängt ein klassisches Spinnennetz. An die Vergänglichkeit erinnern eine Sanduhr und eine Bahnhofsuhr, die fünf vor zwölf zeigt. Auch Tod und Teufel drohen: Der Teufel hat eine Fernbedienung in der Hand, mit der er den Tod kontrolliert. Vergänglichkeit ist das Leitmotiv der „Höllenseite“ – das Barockzeitalter grüßt. Auf seinen linken Arm hat er sich die Verse eines Gedichts tätowieren lassen. „Das Gedicht erzählt davon, was man nach dem Tod nicht mehr hat: Herz, Liebe, Hass, und dass man am Ende sogar seinen Schatten verliert.“ Gehört hat er die Verse das erste Mal in einem türkischen Film.

Ganz anders wird der rechte Arm, der „Himmelsarm“, aussehen. Dort will sich Ilker „Engel, Glück, die schönen Dinge“ stechen lassen. Aber der Himmel muss noch etwas warten – „ich bin auf der Suche nach dem perfekten Tätowierer. Den kriegt man nicht an jeder Ecke“, sagt Ilker.

Der Rücken trägt ein Bekenntnis der anderen Art – zum deutschen Motorsport: Dort flattert der Bundesadler vor zwei Racing-Flaggen, denn der Student ist Rennsport-Fan. „Da fehlen noch die Racingwagen. Mercedes zum Beispiel.“ Wie weit er mit seinen Tattoos gehen würde? „Alles, was ich mit einem langen Hemd überdecken kann“, sagt er. „Deswegen keine Hand, kein Hals.“ Anders als Ilker trauen sich die meisten seiner Freunde nicht, mit ihren Tattoos den Ellbogen als Grenze zu überschreiten. Angesagt seien bei ihnen kleinere Tattoos, denn noch immer seien Tattoos nicht allgemein akzeptiert. „Sie meinen, dass sie sich damit ihre Jobchancen verbauen.“ llkers Eltern haben seine Leidenschaft akzeptiert.

Auf die Frage, ob er die Tattoos im Alter nicht bereuen wird, zuckt Ilker mit den Achseln: „Ob man verschrumpelt ist und dann Farbe unter der Haut hat oder nicht, ist, finde ich irrelevant. Alte Haut ist alte Haut. Man muss ja nicht unbedingt in einem Tanktop herumlaufen.“

Markantes Tattoo: Stefan Ebners Tribal.
| Markantes Tattoo: Stefan Ebners Tribal.
Bunter Vogel mit Japan-Faible: Makoto präsentiert stolz seine Tattoos.
| Bunter Vogel mit Japan-Faible: Makoto präsentiert stolz seine Tattoos.
Wasserfest: Brigida Campions Ehering.
| Wasserfest: Brigida Campions Ehering.
Japan und Tim Burton auf der Haut: Tobias Kochan und Melanie Kraus.
| Japan und Tim Burton auf der Haut: Tobias Kochan und Melanie Kraus.
 
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