Die syrische Opposition steht vor der totalen Zerrüttung. Nach dem überraschenden Rücktritt von Ahmed Moaz al-Khatib als Chef der „Nationalen Koalition“ herrschen unter den Assad-Gegnern Chaos und Streit.
Die Zweifel an ihrer Politikfähigkeit wachsen – und das zu einem Zeitpunkt, an dem Frankreich und Großbritannien als erste europäische Staaten offen für Waffenlieferungen an die Rebellen plädieren.
Frankreichs Außenminister Laurent Fabius appellierte an die syrischen Regimegegner, Einigkeit zu wahren und nicht in Extremismus abzugleiten. Katars Regierungschef Scheich Hamad bin Jassim al-Thani erklärte, er hoffe, Al-Khatib werde seine Entscheidung noch einmal überdenken.
Zu den Gründen für seinen Rückzug schweigt sich der angesehene Geistliche, der einer Gelehrtenfamilie aus Damaskus entstammt, bisher offiziell aus. „Ich habe dem großen syrischen Volk und Gott versprochen zurückzutreten, wenn bestimmte rote Linien überschritten werden“, schrieb er in einer Facebook-Botschaft, ohne dies genauer zu erläutern. Seine Demission erlaube ihm, künftig freier zu arbeiten als innerhalb offizieller Institutionen. „In den letzten beiden Jahren sind wir abgeschlachtet worden von einem unfassbar bösartigen Regime – und die ganze Welt hat zugeschaut.“
Dennoch kündigte Al-Khatib an, er werde zum Gipfel der Arabischen Liga nach Doha reisen, um vor den versammelten Staatschefs der arabischen Welt eine Rede „im Namen des syrischen Volkes“ zu halten.
Der 53-jährige Al-Khatib war erst im letzten November in Doha unter massivem westlichem und arabischem Druck an die Spitze von Syriens Opposition gewählt worden. Bereits in den letzten Wochen hatte er gegenüber zahlreichen Gesprächspartnern durchblicken lassen, dass ihm der zunehmende Einfluss der Muslimbrüder und islamistischer Radikaler in den Reihen der Opposition Sorgen mache. Auch nahm der zurückgetretene Oppositionschef Anstoß daran, wie sich Katar in den Bürgerkrieg, in die Machtkämpfe der Opposition und in die Bildung einer Exil-Regierung einmischt.
Im Januar hatte Al-Khatib dem Regime in Damaskus unter bestimmten Voraussetzungen Friedensgespräche angeboten, um Präsident Assad einen Weg ins Exil zu ebnen und den Bürgerkrieg durch einen politischen Machtkompromiss zu beenden. Intern trug ihm dies heftige Kritik ein, vor allem aus den Rängen des „Syrischen Nationalrates“, der innerhalb der „Nationalen Koalition“ die größte Gruppe stellt und stark von Exil-Vertretern sowie Muslimbrüdern beherrscht wird. Diese Fraktion lehnt Verhandlungen mit dem Regime in Damaskus kategorisch ab, trieb trotz der Bedenken von Al-Khatib die Bildung einer Exilregierung voran und setzte vor einer Woche Ghassan Hitto als ersten Exil-Regierungschef durch. Hitto steht den Islamisten nahe, hat nur geringe politische Erfahrung und war lange als Computeringenieur in Texas tätig. Zwölf der 62 Mitglieder im Zentralrat der „Nationalen Koalition“ legten daraufhin aus Protest ihr Mandat nieder. Die Führung der „Freien Syrischen Armee“ erklärte, sie würde Hittos Autorität nicht anerkennen, weil seine Ernennung nicht im Konsens erfolgt sei.
Unterdessen gelang es dem Regime in Damaskus offenbar, den Chef der „Freien Syrischen Armee“, Riad Asaad, durch ein Attentat schwer zu verletzen. Nach Angaben aus Ankara wurde dem abtrünnigen Ex-General ein Bein abgerissen. Er sei über die Grenze in ein türkisches Krankenhaus gebracht worden.