Rund 170 Soldaten der Bundeswehr werden die Weihnachtsfeiertage vermutlich in der Türkei verbringen: Sie sollen mit Luftabwehrraketen vom Typ „Patriot“ die Grenze zu Syrien überwachen. Union und FDP sind fest entschlossen, der Türkei diesen Wunsch zu erfüllen. Aber macht der Einsatz auch sicherheitspolitisch Sinn? Svenja Sinjen ist bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik die Expertin für Verteidigungsfragen.
Svenja Sinjen: Syrien ist im Bereich der Kurzstreckenraketen und Massenvernichtungswaffen gut bestückt und stellt damit eine potenzielle Gefahr für die Türkei dar. Dies gilt unabhängig von der Frage, welche militärischen Fähigkeiten bisher auf syrischer Seite eingesetzt worden sind. Es ist daher nachvollziehbar, dass die Türkei versucht, sich effektiv gegen einen Raketenbeschuss zu schützen. Keiner kann vorhersagen, wie sich die Situation entwickelt.
Sinjen: Es mag sein, dass es für viele Länder wünschenswert wäre, wenn man sein Territorium alleine verteidigen könnte. Die Realität ist allerdings nicht erst seit der allgemeinen Budgetkrise eine völlig andere. Die europäischen NATO-Staaten sind in ihren Verteidigungsanstrengungen eng miteinander verzahnt. Nicht jedes Land kann alle militärischen Fähigkeiten für alle Eventualfälle vorhalten. Das gilt auch für die Türkei. Entscheidend ist, dass man die richtigen Fähigkeiten im Verbund vorhält und sicherstellt, dass ein Partner im Konfliktfall Zugriff auf sie hat.
Sinjen: Grundsätzlich kann jeder Einsatz in einer Konfliktregion gefährlich sein. In diesem Fall müssten allerdings die Patriot-Stellungen beschossen werden, um eine ernste Gefahr für die Soldaten zu sein – eine Aufgabe, die man mit den Patrioten versucht zu verhindern.
Sinjen: Zunächst kann man Libyen und Syrien nicht miteinander vergleichen. Im syrischen Fall fühlt sich ein NATO-Mitglied direkt bedroht. Das war im Fall Libyen nicht so. Die NATO dient in erster Linie dazu, die Sicherheit ihrer Mitglieder zu gewährleisten. Ist sie dazu nicht in der Lage, hat sie ihre Relevanz eindeutig verloren. Aus dieser Logik ergibt sich, dass die NATO nun aktiv werden sollte. Damit ist aber natürlich noch nicht in Stein gemeißelt, welches NATO-Mitglied was zum Schutz der Türkei beiträgt. Da Deutschland aber eines der wenigen Länder ist, das über die Patrioten verfügt, ist es an dieser Stelle besonders gefordert. Es würde mich verwundern, wenn Deutschland einer türkischen Anfrage im Rahmen der NATO nicht nachkäme. Der Flurschaden wäre immens. Deutschland hätte mit einem weiteren schweren Verlust seiner Glaubwürdigkeit zu kämpfen.
Als Expertin für Sicherheits-und Verteidigungspolitik ist Svenja Sinjen in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) beschäftigt. Die Politikwissenschaftlerin leitet dort das „Berliner Forum Zukunft“. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen die Streitkräftereformen in Deutschland und anderen europäischen Ländern, internationale Militäreinsätze und Probleme der transatlantischen Sicherheitsbeziehungen. Die DGAP ist ein gemeinnütziger Verein mit 2500 Mitgliedern aus Wirtschaft, Politik und Medien, der seit 1955 die außenpolitische Meinungsbildung in Deutschland fördert. Foto: dgap