Die Entscheidung sollte Entschlossenheit und Tatkraft signalisieren. Die Arabische Liga forderte die Vereinten Nationen am Sonntag auf, UN-Blauhelme nach Syrien zu schicken. Doch bei genauem Hinsehen fällt der Beschluss schnell in sich zusammen. Entsprechend unbeeindruckt zeigte sich das syrische Regime, das seine Angriffe gegen Aufständische fortsetzte.
Der Beschluss der arabischen Außenminister war nicht einstimmig. Die algerische Führung, die aus Angst vor neuen Unruhen im eigenen Land allen revolutionären Bewegungen skeptisch gegenübersteht, stimmte gegen den Vorschlag, eine Syrien-Friedenstruppe zu gründen. Der Libanon, dessen Regierung von der mit Syrien verbündeten Hisbollah dominiert wird, lehnte gleich den gesamten Beschluss ab. Dahinter steckt nach Ansicht von Beobachtern in Beirut nicht nur die Solidarität der pro-iranischen Schiiten-Bewegung mit Präsident Baschar al-Assad. Es gebe auch die Sorge, dass der Konflikt Spannungen zwischen den Religionsgruppen im Libanon neu entfachen könnte.
Opportunismus
Das Nachbarland Irak stimmte nur aus Opportunismus für den Beschluss. Ein Vertreter der Parlamentsfraktion der Irakischen Liste erklärt: „Der Irak will in der Liga nicht isoliert dastehen. Denn dann wird der nächste arabische Gipfel nicht in Bagdad stattfinden. Und das würde bedeuten, dass Katar weiterhin in allen Sitzungen den Vorsitz hätte, was auch Assad nicht will.“
Als Drahtzieher des „Komplotts gegen Syrien“ will das Regime in Damaskus die Saudis und das kleine Emirat Katar identifiziert haben. Es bezeichnet die Monarchen vom Golf als Heuchler, die anderen Arabern Nachhilfe in Demokratie erteilen wollen, während sie selbst mit unumschränkter Macht herrschen. Das ist zwar nicht ganz falsch. Doch der Konflikt ist vielschichtiger.
Der in Paris lebende syrische Politikwissenschaftler Salam al-Kawakibi schreibt in einer Analyse, Assad habe seine Strategie gegen die Demokratiebewegung von Anfang an auf zwei Säulen aufgebaut. Die Minderheiten in Syrien sollten Angst vor einem Umsturz durch die arabisch-sunnitische Bevölkerungsmehrheit bekommen und deshalb ihr Schicksal mit dem Assad-Regime verknüpfen. Die Analyse wurde in der ägyptischen Zeitung „Al-Shorouk“ veröffentlicht.
Die Araber und die internationale Gemeinschaft sollten glauben, dass ein Bürgerkrieg ausbrechen wird in Syrien, der sich dann auf die gesamte Region ausweiten könnte. Al-Kawakibi kommt zu dem Schluss: „Die syrische Führung war, was diese beiden Szenarien angeht, relativ erfolgreich.“
Brutales Regime
Die Proteste in Syrien hatten zu Beginn einen säkularen Charakter. Dass sie inzwischen stark islamisch geprägt sind, ist vor allem das Ergebnis der Brutalität des Regimes und des aus Sicht der Opposition zu langen Zögerns der internationalen Gemeinschaft. „Oh mein Gott, du bist der Einzige, der uns jetzt noch hilft“, stöhnen junge Männer, die in der belagerten Stadt Homs die Einschläge der Granaten filmen. „Gott ist groß“, rufen Demonstranten in Daraa und Hama, um sich Mut zu machen. Die meisten von ihnen sind Sunniten. Die Religion wird für sie zum Anker in einem Meer der Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit.
Den sunnitischen Monarchen der Golfstaaten kommt das nicht ungelegen. Sie hatten schon in Libyen und Ägypten islamisch-konservative Kräfte unterstützt. So konnten sie sich als Unterstützer der Revolution präsentieren, ohne Proteste im eigenen Land zuzulassen. Der Iran mischt in der Syrien-Krise ohnehin von Anfang an mit – angeblich soll er sogar Militärberater und Kämpfer geschickt haben, um Baschar al-Assad zu stützen.
Speerspitze der Revolution
Auch das Terrornetzwerk El Kaida versucht jetzt im Falle Syriens – ähnlich wie zuvor schon in Libyen – auf den fahrenden Zug aufzuspringen. „Verlasst euch nicht auf die Arabische Liga, denn wer nichts hat, der kann auch nichts geben. Verlasst euch auch nicht auf den Westen oder die Türkei“, riet El-Kaida-Anführer Eiman al-Sawahiri den syrischen Aufständischen. Die Terroristen wollen sich als Speerspitze der Revolution präsentieren. Bei den Libyern hatte diese Strategie nicht verfangen. Doch das ist keine Garantie dafür, dass es in Syrien genauso läuft – vor allem wenn die Angriffe der Regierungstruppen auf Wohnviertel noch lange anhalten.
Bislang ist der Ruf der Liga nach UN-Blauhelmen ein Nullsummenspiel. Denn solange Russland und China jede Syrien-Resolution im UN-Sicherheitsrat blockieren, wird kein Soldat syrischen Boden betreten. Trotzdem ist die Entscheidung der Arabischen Liga nicht ganz ohne Effekt. Denn sowohl Moskau als auch Peking dürfte es schwerfallen, sich auf Dauer den Wünschen der reichen Golfstaaten zu widersetzen. Diese haben zwar keine großen Armeen, üben aber über ihre staatlichen Investmentgesellschaften und Großprojekte erhebliche wirtschaftliche Macht aus.
Blauhelm-Mission
Russland will den Vorschlag einer Blauhelm-Mission für Syrien prüfen, aber in jedem Fall erst bei einem Waffenstillstand in dem Land zulassen. Das sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow. Moskau studiere den Vorschlag der Arabischen Liga, UN-Blauhelm-Soldaten nach Syrien zu entsenden, sagte Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax bei einem Treffen mit dem Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Abdullah bin Said Al-Nahjan, in Moskau. Für eine solche Mission sei in jedem Fall auch das Einverständnis von Syrien erforderlich, betonte Lawrow.
Nach Darstellung von Lawrow kann eine Friedensmission in dem arabischen Land erst beginnen, wenn in Syrien Frieden herrsche, der dann mit UN-Hilfe unterstützt werden könne. Russland steht international in der Kritik, als Vetomacht im Weltsicherheitsrat einen schärferen Kurs gegen Syrien zu verhindern. Russland ist seit Sowjetzeiten Verbündeter und Waffenlieferant Syriens. TEXT: dpa