Die Türkei verstrickt sich immer tiefer in den blutigen Konflikt in der syrischen Provinz Idlib. Nach der Entsendung von rund 5000 Soldaten und schweren Waffen in das Gebiet kündigte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag an, die türkische Armee werde Vergeltung für den Tod von fünf Soldaten bei Gefechten mit syrischen Regierungstruppen in Idlib üben. Erdogans Bündnispartner, Nationalistenchef Devlet Bahceli, verlangte, die türkischen Soldaten sollten bis in die syrische Hauptstadt Damaskus marschieren und Assad stürzen.
Türkisch unterstützte Rebellen in Idlib schossen einen syrischen Militärhubschrauber ab. Mit der aggressiven Haltung wendet sich Ankara gegen die Forderung der syrischen Schutzmacht Russland, alle Angriffe auf die syrische Regierungsarmee einzustellen. Für die inzwischen rund 700 000 Flüchtlinge in Idlib ist die Lage verzweifelt. Erdogan sagte, Syrien werde „einen sehr, sehr hohen Preis“ für den Tod von fünf türkischen Soldaten am Montag in Idlib bezahlen. Schon jetzt antworte die türkische Armee auf die syrischen Angriffe. „Aber das reicht nicht, es wird noch weitergehen.“ Konkrete Schritte will Erdogan an diesem Mittwoch verkünden.
Nicht nur wegen der Brandrhetorik von Bahceli steht Erdogan innenpolitisch unter Druck. Er hatte Anfang Februar die Armee nach Idlib geschickt, um den Vormarsch der syrischen Armee zu stoppen und einen neuen Massenansturm von Flüchtlingen aus Idlib auf türkisches Gebiet zu verhindern. Obwohl vergangene Woche acht und am Montag fünf türkische Soldaten bei Gefechten getötet wurden, konnten Assads Soldaten weiter vorrücken. Nach den jüngsten Geländegewinnen kontrolliert die syrische Armee nun zum ersten Mal seit acht Jahren die Fernstraße M 5 von Aleppo im Norden des Landes nach Damaskus im Süden in ihrer vollen Länge. Nun fasst sie offenbar weitergehende Ziele ins Auge.
Die Türkei hat dagegen kaum militärische Erfolge vorzuweisen. Zwar erklärte das Verteidigungsministerium nach dem Tod der fünf Soldaten in Idlib, es seien mehr als 100 Stellungen der Syrer „vernichtet“ worden. Auch der Hubschrauber-Abschuss, bei dem die beiden Piloten ums Leben kamen, zeigte die Verwundbarkeit der syrischen Truppen. Doch da die Türkei wegen der russischen Lufthoheit in Idlib keine Kampfflugzeuge einsetzen kann und zudem eine direkte Konfrontation mit russischen Truppen vermeiden will, sind ihre Möglichkeiten begrenzt.
Erdogans Syrien-Politik hängt vom Wohlwollen Russlands als wichtigster Militärmacht in dem Bürgerkriegsland ab. Ohne Zustimmung aus Moskau hätte die Türkei in den vergangenen drei Jahren ihre Interventionen gegen die Kurdenmiliz YPG im Norden Syriens nicht starten können. Der türkische Truppeneinsatz in Idlib war dagegen nicht mit Russland abgesprochen – was die Moskauer Regierung offenbar verärgert hat. Dmitry Peskow, der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, forderte ein Ende aller Angriffe auf russische und syrische Soldaten in Idlib. Vorige Woche waren russische Soldaten nach Moskauer Angaben bei Angriffen umgekommen, die aus dem türkisch kontrollierten Teil Idlibs kamen.