
In der Tragödie von Aleppo gibt es wieder einen Hoffnungsschimmer. Zwei Tage nach dem Abbruch der Evakuierung durch das Regime fuhren am Sonntag wieder dutzende Busse in das verbliebene Rebellengebiet, um Menschen abzuholen. In der Woche vor Weihnachten harren schätzungsweise 40 000 bis 50 000 Frauen, Männer und Kinder in den völlig überfüllten und von Bomben verwüsteten Vierteln aus und warten auf ihre Rettung. Sie sollen in die benachbarte Provinz Idlib gebracht werden, die die Aufständischen kontrollieren. „Die meisten haben Angst, dass sie hier nicht mehr rauskommen“, zitierte die BBC einen Lehrer, der mit seiner kleinen Tochter auf ein Ende der Qualen hofft.
„Das Wetter ist kalt und die Kinder weinen, weil sie so hungrig sind.“ Andere hockten in den Trümmerlandschaften neben offenen Feuern, um sich etwas zu wärmen. Abertausende müssen bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt auf der Straße schlafen, weil sie in den Hausruinen oder ausgebrannten Fabrikhallen keinen Platz mehr finden. Die Kinder sind völlig verstört von dem Dauerbombardement, das sie durchgemacht haben.
Die Evakuierung war am vergangenen Freitag nach der Abfahrt der ersten 8000 Verwundeten, Rebellen und Zivilisten unterbrochen worden, als einer der Buskonvois beschossen wurde und umkehren musste. Auslöser des Angriffes war offenbar ein Disput um die beiden von Aufständischen umzingelten schiitischen Dörfer Al-Foua und Kefraya in der Provinz Idlib. Dort ließen islamistische Bewaffnete die Hilfsfahrzeuge nicht passieren, die 4000 Menschen abholen sollten. In beiden Ortschaften sind seit September 2015 etwa 20 000 Bewohner von der radikalen Al-Nusra-Front eingeschlossen. Entkommene berichteten, die Belagerten würden Gras essen und operiert werde teilweise ohne Narkose. Gemäß der am Sonntag erreichten Aleppo-Einigung durften Busse nun auch diese Dörfer ansteuern, um die ersten eintausend Kranken und Verletzten abzuholen. Zudem sollen aus den vom Regime strangulierten Ortschaften Zabadany und Madaya nahe der libanesischen Grenze, wo bisher bereits über sechzig Menschen verhungerten, in den nächsten Tagen Kranke und Hilfsbedürftige evakuiert werden.
Nach wenigen Stunden jedoch gab es nahe den schiitischen Dörfern erneut einen schweren Zwischenfall. Sechs Busse wurden angegriffen und in Brand geschossen – offenbar von Al-Nusra-Gotteskriegern. Der UN-Sicherheitsrat beschäftigt sich am Sonntag erneut mit Aleppo. Frankreich legte eine Resolution vor, die die Vereinten Nationen autorisiert, Beobachter in die Enklave zu schicken, um Massaker an der Zivilbevölkerung zu verhindern und den „willentlichen, sicheren und würdigen“ Abtransport der Menschen zu überwachen. In Berlin, Stuttgart und Hamburg, sowie in Paris und London protestierten am Wochenende zahlreiche Bürger gegen den Krieg in Syrien. Angesichts der wachsenden Kritik in Europa verteidigte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Zurückhaltung des westlichen Militärbündnisses. Ein Militäreinsatz könnte zu einer weiteren Eskalation beitragen, sagte Stoltenberg der „Bild am Sonntag“. „Wir würden riskieren, dass es ein größerer regionaler Konflikt wird. Oder dass noch mehr Unschuldige sterben.“ Manchmal wären die Kosten des Einsatzes militärischer Mittel größer als der Nutzen. Mit Blick auf Syrien seien die Nato-Partner zum Ergebnis gekommen, dass der Einsatz von Militär eine schreckliche Situation noch schrecklicher machen würde.
Der scheidende UN-Generalsekretär Ban Ki-moon appellierte erneut an Damaskus, Moskau und Teheran, die eingeschlossenen Menschen abziehen zu lassen. „Aleppo ist ein Synonym für die Hölle“, sagte er.