Svenja Schulze ist seit März Bundesumweltministerin. Die 49-jährige Düsseldorferin war von 2010 bis 2017 Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen. Im Interview räumt die SPD-Politikerin Fehler der deutschen Klimapolitik ein und verspricht einen Kurswechsel. Eindringlich mahnt sie zu einer intelligenteren Politik bei Verkehr und Landwirtschaft.
Svenja Schulze: Man kann nie ein einzelnes Wetterereignis eindeutig auf den Klimawandel zurückführen. Aber wir werden jetzt mehr dieser Extreme erleben, von Starkregen bis Dürre. Das ist genau das, was uns die Klimaforscher immer vorausgesagt haben. Die fünf heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen waren alle nach 2010. Dagegen hilft nur konsequenter Klimaschutz, damit wir Menschen unseren Planeten nicht völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Und wir werden uns an die jetzt schon nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels anpassen müssen.
Schulze: Darüber sind wir mit den Landwirten im Gespräch. Es wird darauf hinauslaufen, dass der Ackerbau künftig ein anderer sein wird. Mit schonender Bodenbearbeitung, mehr Hülsenfrüchten, vielfältigeren Fruchtfolgen. Die Landwirtschaft muss robuster gegenüber Klimaveränderungen werden, und sie muss selbst klimaverträglicher wirtschaften und sorgsamer mit Böden, Wasser, Luft und Natur umgehen. Dabei dürfen wir die Landwirtinnen und Landwirte aber nicht alleine lassen, sondern sie durch die Neuausrichtung der Europäischen Agrarförderung unterstützen.
Schulze: Wir haben uns bei den Klimazielen erstmal ehrlich gemacht. Da haben wir die letzten 20 Jahre viel zu wenig getan. Jetzt ziehen wir einen Strich drunter und lernen daraus. Warum ist denn so wenig passiert bei Verkehr, Energie, Gebäuden oder Landwirtschaft? Ich sage: Weil die Verbindlichkeit für die einzelnen Bereiche fehlte. Das werden wir nun ändern.
Schulze: Die SPD hat im Koalitionsvertrag mit der Union durchgesetzt, dass wir ein Klimaschutzgesetz bekommen. Darin definieren wir für alle Bereiche verbindlich, wie die geltenden Klimaschutzziele umgesetzt werden sollen. Wir arbeiten zurzeit an diesem Gesetz. Die Herangehensweise ist eine ganz andere als früher. Nicht ich als Umweltministerin mache die Vorgaben und die anderen sagen mir dann, was alles gar nicht geht. Nein, jeder Minister ist für die Maßnahmen in seinem Bereich zuständig, der Verkehrsminister für den Bereich Verkehr und Transport, der Wirtschaftsminister für den Bereich Energie, der Bauminister für die Gebäude und die Agrarministerin für die Landwirtschaft.
Schulze: Leider ist auf Seiten von CDU und CSU die Bereitschaft, wirklich effektive Maßnahmen zu ergreifen, bislang nicht sehr ausgeprägt. Im Bereich Verkehr, der für knapp 20 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, passiert viel zu wenig, der Ausstoß steigt eher noch. Die Autos werden zwar etwas effizienter, gleichzeitig werden sie immer größer und leistungsstärker. Verkehrsminister Andreas Scheuer wird da liefern müssen. Klimaschutz ist eine große Chance für den Verkehrssektor, weil er unsere Unternehmen fitter macht und auch gut für die Lebensqualität in den Städten sein kann.
Schulze: Zunächst einmal haben viele Leute einen Diesel gekauft, weil sie davon ausgegangen sind, dass das die saubereren Autos sind. Aus Umweltsicht möchte ich auch nicht, dass der Diesel so schnell beerdigt wird, die Autos sind in der Regel sparsamer als vergleichbare Benziner. Für die Übergangsphase auf dem Weg hin zu mehr Elektromobilität ist es gut, den Diesel zu haben – vorausgesetzt er ist sauber. Und deswegen möchte ich zum Werterhalt des Diesels beitragen. Software-Updates sind schön und gut, werden aber nicht reichen, um die Stickoxidwerte entscheidend zu senken. Deshalb möchte ich, dass bei Modellen, wo dies möglich ist, auch Hardware-Nachrüstung gemacht wird. In den stark belasteten Städten wird das helfen. Die Alternative sind Fahrverbote. Und das finde ich keine intelligente Verkehrspolitik. Der Verkehrsminister muss jetzt endlich das Regelwerk für Nachrüstungen schaffen. Das fordern übrigens nicht nur die SPD, sondern auch der ADAC und das deutsche Kraftfahrzeuggewerbe, weil sonst bei Leasingrückläufern und bei auch jungen Gebrauchtwagen ein gewaltiger Wertverlust droht.
Schulze: Das klingt ja erst mal lustig. Aber das ist so ein ernstes Thema, da leiden gerade Kinder und ältere Leute massiv unter der Belastung durch ein Reizgas. Es ist erschreckend, dass sich eine Landesregierung so wenig um das Wohl der Menschen kümmert. Man kann das doch nicht einfach aussitzen, die Stickstoffdioxid-Grenzwerte haben ja einen Hintergrund – das Zeug kann extrem schädlich sein. Dass ein Gericht so weit geht, dass es über so was nachdenkt, ist schon bezeichnend. Und die bayerische Staatsregierung lässt ja auch die Kommunen im Stich, das ist wirklich verantwortungslos.