
Es ist der dritte Anlauf, und diesmal hat er Chancen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) einigte sich gestern in Berlin mit allen Bundesländern darauf, bis Mitte nächsten Jahres ein gemeinsames „Endlagersuchgesetz“ vorzulegen. Bei der Bestimmung jenes Ortes, an dem stark strahlende radioaktive Abfälle für Hunderttausende von Jahren deponiert werden sollen, geht die Nation damit zurück auf Los – fast 35 Jahre nachdem Gorleben dafür auserwählt worden war.
Im Wendland könnte es bald ein Aufatmen geben. Dafür dürfte die Suche aber nun in anderen Gegenden beginnen und dort Empörung auslösen. Fast die ganze norddeutsche Tiefebene aber auch Gesteinsformationen in Bayern und Baden-Württemberg kommen geologisch grundsätzlich in Frage – und wahrscheinlich noch weitere Gegenden. „Wir haben eine weiße Landkarte“, sagte Röttgen und betonte, dass die Suche völlig neutral und wissenschaftsbasiert erfolgen müsse. Zwar hatten auch Röttgens Vorgänger Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) jeweils schon Vorstöße für ein Endlagersuchgesetz unternommen, doch gab es damals keinen Konsens über die Atomenergie insgesamt. So bekämpfte zu rot-grünen Zeiten die Union den Atomausstieg und forderte, dass Gorleben der einzige Standort sei, an dem eine – allerdings „ergebnisoffene“ – Erkundung vorgenommen werden müsse. Zudem weigerten sich die südlichen Länder, jemals als Standort in Betracht zu kommen. Als die schwarz-gelbe Koalition dann die Atomlaufzeiten verlängerte, verhärteten sich die Fronten noch mehr. Die Regierung ließ die Arbeiten in Gorleben wieder aufnehmen, und die Opposition setzte im Bundestag einen Untersuchungsausschuss durch, der nachweisen soll, das Gorleben eine politische Willkür-Entscheidung war.
Seit der Energiewende der Regierung Merkel ist das alles Schnee von gestern. Selbst Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wollte nicht mehr im Zorn auf die Gorleben-Thematik zurückblicken: „Schuldfragen sind nicht produktiv“. Kretschmann hatte im Frühjahr als erster süddeutscher Ministerpräsident seine Kooperationsbereitschaft bei einer neuen Endlagersuche erklärt.
Auf diese Linie ist jetzt auch Bayern eingeschwenkt. Während der damalige Umweltminister Markus Söder noch im Mai betont hatte, dass der Freistaat aus geologischen Gründen prinzipiell nicht in Frage komme, betonte sein Nachfolger Marcel Huber (beide CSU) gestern: „Wenn die Suche glaubwürdig sein soll, darf man nicht einzelne Länder vorab herausnehmen.“ Dabei sind die geologischen Analysen eindeutig: Salz, Kristallin (Granit) und Ton kommen in Bayern als mögliche Wirtsgesteine für ein Endlager nicht infrage. Das geht aus den Bewertungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sowie des Bayerischen Geologischen Landesamtes hervor. Die Salzstöcke zum Beispiel im nördlichen Unterfranken sind einfach nicht mächtig genug.
Das Gesetz ist ein Verfahrensgesetz, es soll also klären, mit welchen Verwaltungsschritten, in welchen Zeiträumen und mit welcher Bürgerbeteiligung gesucht und entschieden wird. Als Vorbild gilt das in der Schweiz gewählte Verfahren, wo eine offene Standortsuche unter starker Bürgerbeteiligung läuft. Ungeklärt ist in Deutschland noch fast alles: Soll der Atommüll oberirdisch oder unterirdisch lagern, soll er, falls unterirdisch, rückholbar deponiert werden (was Salzstöcke ausschließt) oder nicht rückholbar. Eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern will nun erste Gedanken skizzieren.
Meinungsverschiedenheiten gibt es derzeit vor allem über den Umgang mit Gorleben im Rahmen eines neuen Verfahrens. Während Röttgen aus dem Umstand, dass kein Standort ausgeschlossen sein soll, schließt, dass dies auch für das Wendland gelte und somit die Erkundung dort weitergehen müsse, sieht das zum Beispiel die grüne Umweltministerin des Saarlandes, Simone Peter, anders. Klar müsse sein, dass Gorleben wegen der vorausgegangenen Erkundung um nichts wahrscheinlicher sei, als jeder andere Standort, sagte Peter unserer Zeitung.