Sie machten die Jobs, die keiner wollte. Die unangenehmen, die gefährlichen. Die Häftlinge in der DDR hatten keine Wahl. Zwischen 15 000 und 30 000 wurden jedes Jahr unter oft widrigen Bedingungen zur Arbeit gezwungen, das zeigt eine neue Untersuchung. „Der Arbeitsschutz war mangelhaft“, berichtet Jan Philipp Wölbern vom Potsdamer Institut für Zeitgeschichte. Häufige Folgen: gequetschte Finger, Schnittwunden, Knochenbrüche, Augenverletzungen, Vergiftung. Sinn und Zweck der Zwangsarbeit sei nicht Rehabilitation gewesen. Es ging dem System vielmehr um ausländische Devisen – verbunden nicht selten mit Schikane gegen politisch Andersdenkende.
Teil der Wirtschaftspläne
„Haftzwangsarbeit war Teil der zentralen Wirtschaftspläne der DDR“, sagt Wölbern. Die Gefangenen seien für Arbeiten eingesetzt worden, für die sich sonst niemand fand – „etwa, weil sie schlecht entlohnt oder besonders gefährlich waren“. Zwar trug ihre Tätigkeit der Studie zufolge weniger als ein Prozent zur Wirtschaftsleistung des Staates bei.
Doch sie arbeiteten an neuralgischen Punkten, ohne die die Produktion laut Wölbern in vielen Betrieben gefährdet gewesen wäre. „Strafgefangenenarbeit spielte deshalb eine gewichtige Rolle.“ Die Autoren machen im Detail keine Angaben, wo genau die Häftlinge zum Einsatz kamen.
Grundsätzlich wird Arbeit im Gefängnis von den Vereinten Nationen sogar gefordert. Vielen Häftlingen habe die Beschäftigung in gewisser Hinsicht auch gutgetan, berichtet Christian Sachse von der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Sie habe Würde zurück- und dem Alltag einen Sinn gegeben, vor allem nach dem gezwungenen Nichtstun und Grübeln in der Stasi-Untersuchungshaft. „Was man kritisieren kann, ist die kommerzielle Ausbeutung“, sagt Sachse jedoch. Und die Arbeitsbedingungen.
Im Schichtdienst zermürbt
Denn die Häftlinge in der DDR wurden der Studie zufolge nicht nur zu besonders schwerer Arbeit eingesetzt, sondern mussten nach einem Acht-Stunden-Tag oft noch weiterschuften. Im Schichtdienst seien sie zermürbt worden, hätten oft nur wenige Stunden geschlafen. Urlaub gab es nicht für alle. Der Großteil des Lohns wurde einbehalten. Offizielle Anweisungen, politische Häftlinge noch schlechter zu behandeln als kriminelle, hat Wölbern nicht gefunden.
Das bedeute aber nicht, betont er, dass es ihnen nicht schlechter ging. „In der Gefangenenhierarchie standen sie ganz unten.“ Die Arbeit wurde in der Regel von den kriminellen Häftlingen ganz oben in der Hackordnung verteilt – und nicht unbedingt fair.
Dieser Selbstverwaltung im Gefängnis ausgesetzt zu sein, „das kann doppelte Strafe sein“, berichtet auch der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn. „Die Gefangenenhierarchie ist nicht zu unterschätzen“, das habe er selbst gespürt.
Die Folgeschäden der Zwangsarbeit, physisch wie psychisch, sind schwierig nachweisbar. Die Opferverbände hatten eine finanzielle Entschädigung gefordert. Doch Geld, so macht die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, deutlich, wird es wohl nicht geben.
Westfirmen als Käufer
Von den Firmen, die damals von der Zwangsarbeit profitierten, erwarte sie jedoch, dass sie sich an der Gedenkarbeit beteiligten, sagt Gleicke. Auch Jahn formuliert eher zurückhaltend: „Aufarbeitung hat sehr viel mit Symbolik zu tun.“
Dann lenkt er den Blick auf eine Seite, die die neue Studie nicht beleuchtet: die der Käufer. Denn früheren Untersuchungen zufolge bezogen Westfirmen immer wieder DDR-Knastprodukte – Strumpfhosen, Fotoapparate, Motorräder. Keiner habe kritisch nachgefragt, obwohl es Hinweise gegeben habe. Die DDR kam so an dringend nötige Devisen.
Insgesamt 100 Westfirmen tauchten im Zusammenhang mit Häftlingsarbeit in den Stasi-Unterlagen auf, sagt Jahn. Nur eine Handvoll versuche bisher, die eigene Firmengeschichte aufzuarbeiten. Dabei müsse man aus dem Umgang mit Häftlingen in der DDR doch ganz aktuell eine Lehre ziehen: „Wenn man Handel mit einer Diktatur betreibt, muss man sich doch fragen, unter welchen Bedingungen dort gearbeitet wird.“