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BERLIN
Studie: Mehr Schwarzarbeit dank Mindestlohn
Studie: Fast vier Millionen Menschen in Deutschland sollen vom Mindestlohn profitieren. Einer Prognose zufolge begünstigt er aber noch etwas anderes: die Schwarzarbeit.
Fensterputzer am Werk: Auch die Mitarbeiter in der Reinigungsbranche profitieren vom Mindestlohn.
Foto: Thinkstock | Fensterputzer am Werk: Auch die Mitarbeiter in der Reinigungsbranche profitieren vom Mindestlohn.
Melanie Jäger
Melanie Jäger
 |  aktualisiert: 03.02.2015 21:40 Uhr

Von blühender Schwarzarbeit kann man in Deutschland schon lange nicht mehr sprechen. Im Gegenteil. Die Zahlen befinden sich seit vielen Jahren auf einer kontinuierlichen Talfahrt. Doch nun ist dieser Abwärtstrend gestoppt worden. Der Mindestlohn von 8,50 Euro, so heißt es aus dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in Tübingen, verstärke die Anreize, in der Schattenwirtschaft zu arbeiten. Zum IAW gehören als Firmenmitglieder unter anderem der Autobauer Daimler und der Technikkonzern Bosch.

Statt des erwarteten Rückgangs aufgrund der prognostizierten konjunkturellen Entwicklung in Höhe von 1,3 Milliarden Euro, kommt es nun in diesem Bereich erstmals zu einem Stillstand. Das Verhältnis von Schattenwirtschaft zur offiziellen Wirtschaft wird im Jahr 2015 gegenüber 2014 konstant bleiben. Der Begriff Schattenwirtschaft umfasst neben Schwarzarbeit auch illegale Beschäftigung sowie Hehlerei und Betrug.

„Nach unseren Modellberechnungen wird der zum 1. Januar eingeführte Mindestlohn die Schattenwirtschaft um 1,5 Milliarden Euro erhöhen“, sagt IAW-Direktor Professor Bernhard Boockmann auf Anfrage dieser Zeitung. Für all jene, die von den bürokratischen Auswirkungen des Mindestlohns betroffen und verunsichert sind, ist diese Nachricht Wasser auf die Mühlen. Doch genau so will sich Professor Boockmann nicht verstanden wissen.

„Auch wenn die Ergebnisse unserer Studie eine negative Auswirkung des Mindestlohns deutlich machen, so heißt das nicht, dass wir nun apodiktisch sagen, der Mindestlohn müsse abgeschafft werden. Um Gottes Willen! Der ist in vielerlei Hinsicht sehr gut“, so der Experte.

Doch Fakt sei eben auch, dass der Mindestlohn bei vielen Arbeitgebern zu steigenden Kosten führt. Die Studie der Universität Linz und des IAW in Tübingen besagt, dass in den klassischen Schwarzarbeitsbranchen wie Gaststätten, Hotels, Landwirtschaft, Bauwirtschaft aber auch Privathaushalten Lohnsteigerungen von insgesamt sieben Milliarden Euro nötig seien, um die Mindestlohn-Regelungen einzuhalten.

Wirtschaftsexperten und Gewerkschaften sind sich einig, dass das unweigerlich zu mehr Schwarzarbeit führen wird. Laut Bernhard Boockmann ist diesbezüglich auch erst einmal kein Ende in Sicht. „Solange aus Wirtschaft und Politik keine Impulse bezüglich der Prävention kommen, wird das so bleiben.“ Schärfere Kontrollen und höhere Strafen sind ein Mittel, die Schwarzarbeit einzudämmen. Doch ob der Zoll als zuständige Kontrollbehörde trotz der angekündigten 1600 zusätzlichen Stellen eine flächendeckende Einhaltung des Mindestlohnes überprüfen kann, bezweifelt Experte Boockmann. „Wer den Mindestlohn umgehen will, wird einen Weg finden.“

Beim Hauptzollamt in Schweinfurt sieht man in den Kontrollen des Mindestlohnes künftig kein unlösbares Problem. „Wir sind ja nicht erst seit gestern mit dieser Arbeit vertraut“, sagt Pressesprecher Stefan Schramm auf Anfrage dieser Zeitung. Konkrete Zahlen bezüglich der Kontrollen in Unterfranken könne man zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht nennen. „Es stimmt aber, dass zusätzlich 1600 Stellen beim Zoll geschaffen werden. Allerdings nicht auf einen Schlag, sondern auf die nächsten Jahre verteilt.“

Die Einführung des Mindestlohns und seine Auswirkungen haben auch in der Region in vielen Bereichen zu Verunsicherung geführt. Ob kleine Betriebe, Vereine mit ehrenamtlichen Mitarbeitern oder Praktikanten – viele Menschen fühlen sich von der Politik allein gelassen. Doch die Politik ist selbst noch uneins, was die Kontrollen und Umsetzungspflicht des Mindestlohns betrifft.

Auch in der Region sind die Diskussionen um eine überbordende Bürokratie beim Mindestlohn hitziger geworden. So drängt etwa der Retzbacher Bundestagsabgeordnete der CSU, Alexander Hoffmann (Lkr. Main-Spessart), nach einem Gespräch mit dem 2600 Mitglieder starken Sportverein TSV Lohr darauf, diese Bürokratie umgehend zu reduzieren. „Wenn sich so viele Unternehmen und Vereine beschweren, läuft etwas schief“, so Hoffmann.

Die durch das Mindestlohngesetz eingeführte Dokumentationspflicht für geringfügig Beschäftigte bedeuteten für ehrenamtlich tätige Vereinsmitglieder einen immensen Mehraufwand und seien für einen Verein schlicht nicht umsetzbar. Genau das hat Hoffman nun Arbeitsministerin Andrea Nahles in einem Schreiben mitgeteilt.

Konkret fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Dokumentationspflicht auf eine Einkommenshöhe von 1900 Euro abzusenken. Diese liegt derzeit bei 2958 Euro. Auch für Minijobber will die Union die Aufzeichnungspflicht komplett streichen, wenn ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt, aus dem sich der vereinbarte Stundenlohn und die Arbeitszeit eindeutig ergeben.

Die CSU-Forderung nach weniger Kontrollen beim Mindestlohn kommt indes bei den Grünen in Bayern gar nicht gut an. „Mit der Forderung nach Abschaffung wichtiger Kontrollen beim Mindestlohn gefährdet die CSU den sozialen Grundkonsens, dass alle Menschen von ihrer Arbeit Leben können sollten“, empört sich Landesvorsitzender Eike Hallitzky. Besonders in Bayern klaffe die Schere zwischen Arm und Reich sehr weit auseinander.

„Ein Mindestlohn-Gesetz ohne angemessene Kontrollen kann gleich ganz beerdigt werden“, so Hallitzky. Hinter ihrer Forderung nach weniger Kontrolle verstecke die CSU ihre eigentliche Abneigung gegen das Thema. Der gesetzliche Mindestlohn ist zum neuen Jahr bundesweit gestartet. Nach Angaben des Arbeitsministeriums sollen knapp vier Millionen Menschen von der Neuregelung profitieren.

Dass es noch viel Diskussionsbedarf zum Thema Mindestlohn und zu dessen flächendeckenden Kontrollen gibt, davon sind die Experten des Tübinger Instituts für Wirtschaftsforschung überzeugt. Was die Schattenwirtschaft im Land angeht, so stehe Deutschland im Vergleich mit anderen OECD-Staaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet haben, nicht schlecht da. Deutschland, Dänemark und Frankreich liegen im Mittelfeld. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt bei 12,2 Prozent. Zum Vergleich: In Griechenland, Italien oder Spanien liegt der Anteil zwischen 18 und 22 Prozent. Mit Infos von dpa

 
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