In der CDU rumort es. Die Konservativen in der Partei, die sich erst vor wenigen Wochen im badischen Schwetzingen zum „Freiheitlich-konservativen Aufbruch in der Union“ zusammengeschlossen haben, üben massive Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Parteispitze, weil sie sich weigern, den Beschluss des CDU-Parteitags in Essen im Dezember zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft sowie zur Einrichtung von Transit-Zentren für Flüchtlinge umzusetzen.
Der Vorsitzende des konservativen Flügels, der Baden-Württemberger Alexander Mitsch, forderte den von Parteichefin Merkel geführten Bundesvorstand auf, „zeitnah ein Konzept zur Umsetzung des Beschlusses zu erarbeiten“. Zudem müsse sichergestellt werden, dass der Parteitagsbeschluss auch Bestandteil des Wahlprogramms von CDU und CSU werde. Das allerdings lehnt Angela Merkel entschieden ab. „Eine Wahlkampagne wie 1999 wird der Doppelpass nicht werden“, sagte die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Ihre Position habe sich auch nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei nicht verändert, bei dem fast zwei Drittel der in Deutschland lebenden Türken für die Einführung eines autoritären Präsidialsystems gestimmt hatten. „Ich sehe keinen direkten Zusammenhang mit dem Ausgang des Referendums. Mir geht es um gute Integration in Deutschland, die Staatsangehörigkeit ist dabei nicht der zentrale Aspekt.“
Keine Mehrheit für Optionsmodell
Schon unmittelbar nach dem Parteitag in Essen hatte die Kanzlerin bekräftigt, dass sie den mit knapper Mehrheit von den Delegierten angenommenen Antrag der Jungen Union nicht in der Regierungspolitik umsetzen werde. Auf dem Parteitag hatten sich sowohl Bundesinnenminister Thomas de Maiziere als auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber gegen die Abschaffung des Doppelpasses ausgesprochen.
Mit ihrem Ja zum Doppelpass stellt sich Merkel allerdings gegen ihre eigene Partei. „Gerade das Abstimmungsverhalten vieler Türken in Deutschland beim Verfassungsreferendum hat nochmals deutlich gemacht, dass die doppelte Staatsbürgerschaft eher die Integration in Deutschland geborener Menschen mit Migrationshintergrund behindert, anstatt diese zu fördern“, sagt der Vorsitzende des konservativen „Aufbruchs“, Mitsch. Loyalität für ein Land sei „nicht teilbar“. Man könne Menschen mit 21 Jahren „durchaus zumuten, sich zu entscheiden, wo sie hingehören wollen“.
Für eine Rückkehr zum alten Optionsmodell, bei dem in Deutschland geborene Kinder mit Migrationshintergrund mit 21 Jahren entscheiden müssen, welche Staatsangehörigkeit sie annehmen, gibt es allerdings keine Mehrheit im Bundestag. Sowohl der Koalitionspartner SPD als auch die Grünen, die Linken und die FDP lehnen das Optionsmodell ab.
Die Liberalen sprachen sich bei ihrem Parteitag am letzten Wochenende dafür aus, dass die doppelte Staatsbürgerschaft wie bisher auch durch Geburt in Deutschland erworben werden könne, allerdings solle nach der dritten Generation von in Deutschland geborenen Einwandern Schluss mit einer Weitervererbung von beiden Staatsangehörigkeiten sein. Eine ähnliche Regelung gilt auch in Kanada.
Komplizierte Rechtslage
Wie viele Menschen in Deutschland eine doppelte Staatsbürgerschaft haben, ist nicht bekannt. Die Zahlen schwanken zwischen 1,6 Millionen (Ergebnis der Volkszählung 2011 und des Mikrozensus von 2014) und 4,3 Millionen (Auswertung der Melderegister 2011). Dies liegt auch an der komplizierten Rechtslage, da manche Länder ihre Bürger, die sich in Deutschland einbürgern lassen, nicht aus ihrer Staatsangehörigkeit entlassen.
Ein gutes Drittel der Menschen mit einem Doppelpass kommt aus einem Mitgliedsland der EU, die meisten aus Polen (nach den Zahlen der Melderegister 690 000). Bei den Doppelstaatlern aus den Nicht-EU-Mitgliedsstaaten stehen Menschen aus Russland (570 000) und aus der Türkei (530 000) an der Spitze.