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BERLIN
Streit um brisante Türkei-Bewertung
Pk de Maiziere       -  Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) hat den von seinem Haus verantworteten kritischen Regierungsbericht zur Türkei gegen Protest aus Ankara verteidigt.
Foto: Wolfgang Kumm, dpa | Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) hat den von seinem Haus verantworteten kritischen Regierungsbericht zur Türkei gegen Protest aus Ankara verteidigt.
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 04.09.2016 03:32 Uhr

Für Thomas de Maiziere wäre es ein Leichtes, sich wegzuducken und sich hinter der am Vortag von Regierungssprecher Steffen Seibert ausgegebenen offiziellen Sprachregelung der Bundesregierung zu verstecken.

Auch er könnte von einem „Büroversehen“ sprechen und einem Sachbearbeiter die Schuld dafür geben, dass sein Haus in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion zu der Einschätzung kam, dass sich die Türkei seit 2011 zur „zentralen Plattform für islamistische Gruppierungen in der Region“ entwickelt habe, ohne diesen Text, wie es sonst üblich ist, mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt zu haben.

Doch Thomas de Maiziere geht in die Offensive, verteidigt ausdrücklich die Darstellung seines Hauses – und gibt damit den Spekulationen, dass es sich bei dieser umstrittenen Beurteilung nicht um ein Versehen, sondern um eine gezielte Aktion handle, neue Nahrung. „Das, was dort vertraulich dargestellt wurde, ist eine pointierte Darstellung eines Teilaspekts türkischer Wirklichkeit“, sagt er in einem Interview des RBB. „Da ist nichts zu bereuen.“

Zuvor schon hatte sein Staatssekretär Ole Schröder, der die Antwort der Bundesregierung unterschrieben hatte, den Vorgang verteidigt: „Wenn es Informationen einer nachgeordneten Behörde im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung gibt, dann ist das Parlament darüber zu informieren, wenn das Parlament danach fragt.“ Solche Informationen dürften „nicht einfach unterdrückt werden“.

Damit ist der Konflikt zwischen dem CDU-Innenressort und dem SPD-Außenministerium, der gleichzeitig auch ein Konflikt zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem diplomatischen Dienst ist, offenkundig geworden. Zudem wird ein grundsätzlicher Dissens zwischen Union und SPD in Grundfragen der Außenpolitik deutlich. Die Koalitionäre tun sich immer schwerer, eine gemeinsame Sprache und Linie zu finden, wenn es um die Haltung Deutschlands auf der internationalen Bühne geht.

Das hat auch mit der Person von Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu tun. Für viele Christdemokraten spricht er zu wenig Klartext und nimmt zu viel Rücksicht. Schon seit Längerem sind Stimmen aus der Union zu hören, die dem deutschen Chefdiplomaten vorwerfen, vor allem gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu zurückhaltend aufzutreten.

„Das, was dort vertraulich dargestellt wurde, ist eine pointierte Darstellung

eines Teilaspekts

türkischer Wirklichkeit.“

Thomas de Maiziere,

Bundesinnenminister

Besonders deutlich werden die Differenzen im Umgang mit dem Kremlchef. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Rückendeckung ihrer Partei einen strikten Abgrenzungskurs fährt, an den westlichen Sanktionen festhält, die Nato-Präsenz an der Ostgrenze des Bündnisgebiets ausbaut und das Verhalten Russlands in Syrien zynisch nennt, sucht Steinmeier den Dialog mit Moskau, fordert eine Lockerung der Sanktionen, wirft der Nato schon einmal „Säbelrasseln“ vor und träumt von einem Wiederaufbau Syriens, bei dem Russland und Deutschland „Hand in Hand“ arbeiten.

Auch in der Türkei-Politik werden die Rufe aus der Union lauter, die Zusammenarbeit mit Ankara auf den Prüfstand zu stellen und Konsequenzen aus dem zunehmend autoritären Verhalten Erdogans zu ziehen, der nach der Niederschlagung des Putsches mit Massenverhaftungen und einer Beschneidung der Pressefreiheit reagiert hat. Das Dilemma ist allerdings, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel selber den Deal mit der Türkei ausgehandelt hat und sich ein zu forsches Auftreten nicht leisten kann.

Erst am Donnerstag verteidigt sie in einem Video-Interview die Zusammenarbeit mit der Türkei. Das EU-Flüchtlingsabkommen spiele eine „große Rolle“ im Kampf gegen die Fluchtursachen, den Menschenschmuggel und das Schleppertum. Da argumentiert Merkel genauso pragmatisch und realpolitisch wie ihr Außenminister. Auch wenn sie nun weiß, wie ihr eigener Geheimdienst die Türkei einschätzt.

 
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