Dürfen homosexuelle Jungen an Pfadfindergruppen teilnehmen? Die Boy Scouts of America, die 2,5 Millionen jugendliche und eine Million erwachsene Mitglieder haben, wollen über eine Frage entscheiden, die den Dachverband zu zerreißen droht. Längst wird der Streit als Gradmesser für den Stand der Gleichberechtigung weit über die Bewegung hinaus beobachtet. Eine der größten Jugendorganisationen der USA hatte ihre jahrelange Hängepartie zuletzt in einen peinlichen Zickzackkurs münden lassen; nun sollen die 1400 Mitglieder des Nationalrats herbeiführen, was 75 Vorstandsangehörigen nicht gelungen ist: einen Beschluss, der die Organisation nicht spaltet.
Im Jahr 2000 hat der Supreme Court den Boy Scouts (BSA) das Recht zugestanden, Homosexuelle weiter auszuschließen, wenn das zum Kern ihrer Bewegung gehört. Aber schon damals wiesen Bürgerrechtler darauf hin, dass die Boy-Scout-Bewegung in den USA nur zu 70 Prozent von religiösen Institutionen getragen wird, und nicht einmal bei diesen stehen alle hinter der Doktrin: Ein Wesensmerkmal des Pfadfindertums sei die Frage der sexuellen Ausrichtung offenbar nicht.
„Don't ask, don't tell“
Das Klima in den USA hat sich seither vehement gewandelt. Mit der „Don't ask, don't tell“-Regel (frag nicht, sag's nicht) hat selbst das Militär 2011 die Notwendigkeit abgeschafft, dass Homosexuelle ihre Identität verbergen müssen. Einer aktuellen Umfrage des Senders ABC und der Zeitung „Washington Post“ zufolge haben 63 Prozent der Amerikaner kein Verständnis mehr für die bisherige Doktrin der BSA. Deren Führung kämpft nicht mehr nur mit schrumpfenden Mitgliederzahlen, sondern zunehmend auch mit dem Rückzug von Sponsoren und Partnerorganisationen, die nicht mit Diskriminierung in Verbindung gebracht werden wollen.
Das eigentliche Debakel traten die BSA los, als die Führung im Juli 2012 ein Machtwort sprach: Das geltende Schwulenverbot sei „die absolut beste Regelung“, ließ das Hauptquartier damals verlauten. Was folgte, war eine PR-Krise sondergleichen. Schon im Januar knickte die Leitung ein und lancierte Überlegungen, das Vorgehen den Organisationen vor Ort zu überlassen – eine Idee, die beide Seiten empörte. Im texanischen Irving kam es zum Sturm der Lobbyisten auf den Vorstand, evangelikale Gruppen drohten mit einer Spaltung. Am Ende stimmte das Executive Board nicht einmal ab, sondern vertagte die Entscheidung bis zur heutigen Versammlung des Nationalrats.
Schwule Volljährige sollen gehen
Die Organisation hat mehr als eine Million Fragebögen verschickt, in denen nicht nur die generelle Einstellung der Mitgliederfamilien erhoben wird, sondern auch Präferenzen zur Unterbringung der Jungen im Zelt. Die BSA beeilt sich, klarzustellen, dass sexuelle Handlungen unter und mit Jugendlichen in jedem Fall inakzeptabel seien. Dennoch ist der Plan, der zur Abstimmung steht, nur ein halber Schritt: Homosexuelle sollen zwar als Minderjährige mitmachen dürfen. Von Leitungsämtern sollen sie aber ausgeschlossen bleiben, und als Volljährige müssen sie gehen.
Der texanische Gouverneur Rick Perry pries diesen Monat den Beitrag der Scouts zur Charakterbildung und wandte sich gegen jegliche Reform: „Dass die Popkultur hier eindringen und das alles zerstören will, weil es zufällig gerade der letzte Schrei ist – das ist einfach nicht angemessen“, sagte der Republikaner, der sich 2012 auch um die Präsidentschaftskandidatur beworben hatte. Bei den Pfadfindern selbst gibt es aber viele, die die bisherigen Regeln als Widerspruch zu den Grundwerten der Bewegung empfinden. Der Zusammenschluss „Scouts for Equality“ (Scouts für Gleichberechtigung) hat knapp zwei Millionen Unterschriften gegen Diskriminierung gesammelt und will einen Gegengipfel abhalten. Bei den Girl Scouts of America gibt es keine gesonderte Richtlinie für die sexuelle Identität der Mitglieder.
