„Kein Service“, hieß es lapidar auf den Schildern, die an die eisernen Gitter geheftet waren. Vor jenen 270 Stationen, die sonst täglich bis zu vier Millionen Menschen schlucken, herrschte angespannte Stille. Londons U-Bahn-Mitarbeiter befanden sich seit Mittwochabend im Streik. Und die Stadt kam in weiten Teilen zum Erliegen. Seit 13 Jahren kam es nicht mehr vor, dass der Verkehr im Untergrund komplett lahmgelegt und kein Notverkehr organisiert wurde.
Das Chaos brach dafür auf den Straßen aus. An Bushaltestellen bildeten sich meterlange Schlangen, an Taxiständen warteten Londoner auf dem Weg zur Arbeit teilweise Stunden auf einen freien Wagen. Einige Busse hielten wegen Überfüllung nicht einmal mehr an, die Plattformen der Stadtbahn Overground waren verstopft mit Pendlern. Die Wirtschaft geht von einem Millionen-Schaden aus.
Bis Donnerstagabend protestierten die Mitarbeiter der Londoner „Tube“, der Lebensader der Stadt, gegen die Entscheidung, dass sie ab 12. September auf fünf von elf Linien am Wochenende auch nachts arbeiten sollen. Vier Gewerkschaften haben sich dem Ausstand angeschlossen. Bislang steht die U-Bahn in den Stunden kurz nach Mitternacht still.
Älteste U-Bahn der Welt
Nicht bei allen löste der Protest Verständnis aus. „Es ist absurd, dass in einer Metropole wie London die Underground bis jetzt nicht durchgängig fährt. Der Schritt ab Herbst ist längst überfällig“, sagte eine Pendlerin, die zwei Stunden statt der üblichen 30 Minuten zur Arbeit unterwegs war. Doch das System der ältesten U-Bahn der Welt unterscheide sich von jenem in anderen Städten, erklärte ein Bahnhofsmanager der Nahverkehrsgesellschaft Transport for London (TfL). „Wir haben aus Sicherheitsgründen immer Mitarbeiter an den Stationen im Einsatz. Außerdem brauchen wir die Nächte für die Instandhaltung und Sanierungsarbeiten der Gleise.“
Die Folge: Nachts drängen sich mit Partygängern überfüllte Busse durch die Straßen der Stadt und Taxis freuen sich über deutlich mehr Umsatz. Vor allem am Wochenende und gut und gerne um 4 Uhr morgens kommt es zu Verkehrsstaus an belebten Plätzen wie dem Trafalgar Square oder dem Piccadilly Circus. Die Nutzung der Nachtbusse habe seit dem Jahr 2000 um 173 Prozent zugenommen, ließ die TfL wissen.
Die britische Regierung und Bürgermeister Boris Johnson verurteilten den Streik als „ungerechtfertigt und völlig unnötig“. Der Chef der London Underground, Mike Brown, sagte, das Unternehmen habe „alle Kraft aufgeboten“, um dem Personal ein faires Angebot zu machen. Niemand müsse mehr Stunden arbeiten als bisher, nach einer Übergangszeit könnten sich die Fahrer aussuchen, ob sie nachts im Einsatz sein wollten. So wurden den Angestellten nach eigenen Angaben Gehaltserhöhungen von durchschnittlich zwei Prozent in diesem Jahr, ein Inflationsausgleich in den nächsten zwei Jahren und eine einmalige Bonuszahlung von umgerechnet knapp 2800 Euro in Aussicht gestellt. Doch den Gewerkschaften zufolge werde „der 24-Stunden-Service die Work-Life-Balance der Mitarbeiter zerstören“.
Derweil verdreifachte am Donnerstag der Taxi-Dienst Uber die Preise für Fahrten, was für scharfe Kritik sorgte. Auch Tennis-Fans litten unter dem Arbeitskampf. Nach Wimbledon kamen sie lediglich mit eigens organisierten Sammeltaxis. Die TfL setzte außerdem 200 zusätzliche Busse ein und bot Leihfahrräder an. Zahlreiche Menschen arbeiteten unterdessen von zu Hause, gingen zu Fuß, joggten ins Büro oder nahmen das Fahrrad.