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"Stille Nacht, heilige Nacht" - der größte aller Weihnachtshits
„Stille Nacht, heilige Nacht“: Was immer an der Entstehung des berühmtesten aller Weihnachtslieder auch wahr ist und was nur Ausschmückung – romantischer hätte die Geschichte kaum ausfallen können.
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Nadine Klikar
 |  aktualisiert: 28.12.2015 03:45 Uhr

Irgendwie ist die Geschichte des Liedes würdig: Heiligabend im Jahre 1818. In dem kleinen Ort Oberndorf bei Salzburg steckt Hilfspfarrer Joseph Mohr (1792-1848) mitten in den Vorbereitungen für die mitternächtliche Christmette. Dann passiert das, was an so einem Abend nie und nimmer passieren darf. Die altersschwache Orgel in St. Nikolaus gibt ihren Geist auf. Mohr ist gezwungen, zu improvisieren. Er setzt sich hin und verfasst eilends ein Gedicht in sechs Strophen.

Mit dem Blatt Papier in der Hand eilt er zu einem Freund, dem Organisten und Dorflehrer Franz Xaver Gruber (1787-1863). Er bittet ihn, seinen Text für zwei Solo-Stimmen samt Chor zu vertonen. Da die Orgel für den Gottesdienst ja ausfällt, greift Gruber zur Gitarre, dem Instrument des Volkes, und komponiert auf die Schnelle eine getragene, stimmungsvolle Melodie zu den weihnachtlichen Zeilen des Pfarrers über die Heilige Nacht.

Um Mitternacht in der Christmette spielen und singen Hilfspfarrer und Organist dann gemeinsam mit dem Chor des Ortes erstmals „Stille Nacht, heilige Nacht“. Die Gemeinde ist begeistert – und nicht nur sie. In Windeseile verbreitet sich das aus der Not geborene Lied in Österreich, Deutschland, schließlich in ganz Europa. Es legt sogar eine Weltkarriere als der alpenländische Weihnachtsexportschlager hin. In über 300 Sprachen und Dialekte ist „Stille Nacht, heilige Nacht“ bis heute übersetzt worden – von Afrikaans bis Rätoromanisch, von Hebräisch bis Walisisch.

Die Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte passt zwar gut zu dem Lied und noch besser in die Weihnachtszeit, aber an ihrem Wahrheitsgehalt bestehen – was die Geschichte der improvisierten Uraufführung anbelangt – berechtigte Zweifel. Der Mythos der weihnachtlichen Geburt des Werks ist von einem seiner Schöpfer selbst entzaubert worden – zumindest indirekt.

Denn 1995 taucht in Salzburg eine 1823 von Pfarrer Joseph Mohr verfasste Abschrift von „Stille Nacht, heilige Nacht“ auf. Darin datiert der Kirchenmann die Entstehung auf 1816, also zwei Jahre früher als angenommen. Mohr war von Oktober 1815 bis Ende Juli 1817 Pfarrer in Mariapfarr im Lungau. In der Pfarrkirche des Ortes gibt es ein Gnadenbild, das das Jesuskind mit lockigen Haaren zeigt und das Mohr wohl zu der Zeile „holder Knab' im lockigten Haar“ inspiriert haben dürfte. „Ein weiteres Indiz dafür, dass das Gedicht wohl dort geschrieben wurde“, erklärt Guido Fuchs vom Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Dass Mohr und Gruber „Stille Nacht, heilige Nacht“ in der Christnacht des Jahres 1818 in Oberndorf vorgetragen haben, ist unumstritten. Ob das allerdings wirklich während der Christmette geschah, wird heute ebenfalls bezweifelt. „Schon allein, weil Mohr als Priester kaum eine lateinische Messe unterbrochen hätte, nur, um ein Lied mit Gitarrenbegleitung vorzutragen“, so Fuchs. Die Forschung geht daher davon aus, dass „Stille Nacht, heilige Nacht“ erst im Anschluss an die Christmette vor der Krippe Premiere feierte.

Dass sich das Weihnachtslied so – für die damaligen Verhältnisse – schnell aus dem kleinen österreichischen Dorf in die weite Welt verbreiten konnte, auch daran soll die Orgel von Oberndorf maßgeblichen Anteil gehabt haben. Der Orgelbauer Karl Mauracher (1789-1844) aus Fügen im Zillertal reparierte das störrische Instrument und wartete es im Anschluss wohl noch mehrfach. Bei einem dieser Besuche wird er wohl „Stille Nacht, heilige Nacht“ gehört haben. Das stimmungsvolle Lied gefiel ihm so gut, dass er eine Abschrift der Komposition mit nach Hause ins Zillertal nahm.

Dort gab er es an die Sängerfamilien Rainer (Fügen) und Strasser (Laimach) weiter. Die waren wohl so etwas wie die österreichische Version der Kelly Family. Jedenfalls reisten sie quer durch Europa, gaben zahlreichen Konzerte auf Märkten, Handwerksmessen und in Kirchen. Wann genau die Sängerfamilie Strasser „Stille Nacht, heilige Nacht“ in ihr Programm aufnahm, ist nicht belegt. Wohl aber, dass sie es 1832 in Leipzig bei einer Neujahrsmesse – bereits in einer verkürzten dreistrophigen Fassung – aufführten. Kurze Zeit später erschien „Stille Nacht, heilige Nacht “ erstmals in gedruckter Version als „ächtes Tyrolerlied“.

Über den großen Teich wanderte es 1839 mit der Sängerfamilie Rainer, die es auf ihre große Amerikareise mitnahm. Am Weihnachtstag 1839 sollen die Österreicher das Lied erstmals auf amerikanischem Boden vorgetragen haben – auf dem Friedhof vor der Trinitiy Church am Ende der Wall Street in New York.

Erste Übersetzungen ins Englische gibt es ebenfalls seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Auf der Wiener Weltausstellung (1873) taucht das Lied in einer englischen Version als „Choral of Salzburg“ auf. Zur Jahrhundertwende wurde „Stille Nacht“ – verbreitet durch katholische und protestantische Missionare – bereits auf allen Kontinenten gesungen. Während das Lied immer bekannter wurde, gerieten seine Urheber zunehmend in Vergessenheit. Lange Zeit galten sogar die Zillertaler Sänger als Komponisten von „Stille Nacht, heilige Nacht“.

Möglicherweise hätten Mohr und Gruber sogar ganz auf den Ruhm als Autoren des bekanntesten Weihnachtsliedes der Welt verzichten müssen, hätte „Stille Nacht, heilige Nacht“ nicht einen ganz besonderen, einen royalen Fan gehabt. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen war so begeistert von der österreichischen Komposition, dass sich seine Hofkapelle 1854 in seinem Namen um eine Abschrift bemühte. Sie fragte unter anderem im Stift St. Peter in Salzburg an, weil man Michael, den Bruder von Joseph Haydn, oder sogar Mozart für den Schöpfer des Liedes hielt. Damals war Felix, der jüngste Gruber-Sohn, dort Sängerknabe, und der verwies auf seinen Vater als den Komponisten des Liedes. Franz Xaver Gruber schrieb daraufhin die Entstehungsgeschichte in die „Authentische Veranlassung zur Composition des Weihnachtsliedes ,Stille Nacht, Heilige Nacht‘“ auf. Die Urheberschaft war damit geklärt.

2011 wurde „Stille Nacht, heilige Nacht“ als Inbegriff des Weihnachtsliedes von der österreichischen Unesco-Kommission zum nationalen immateriellen Kulturerbe ernannt und als internationales Unesco-Kulturerbe vorgeschlagen.

Was macht ausgerechnet dieses Weihnachtslied zum größten aller Weihnachts-Hits? „Es ist zu einem Weihnachtsaccessoire geworden. Jeder verbindet etwas anderes damit, da fällt ein neutrales Urteil schwer. Das Lied ist sicher keine hohe Theologie, aber es ist auch nicht nur ein sentimentales Lied. Die Botschaft des Festes ist noch zu erkennen. Und kein Lied verbindet man mehr mit Weihnachten als ,Stille Nacht, heilige Nacht‘. Es gehört einfach dazu“, erklärt Fuchs.

Fast so ein bisschen wie seine romantische Entstehungsgeschichte . . .

 
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