Zitronensäurezyklus, Stochastik und einen Dreiklang erkennen – nicht immer erscheinen die Themen des Unterrichts alltagsnotwendig. Schulen wird oft vorgeworfen, Schüler zu wenig auf das Leben vorzubereiten. Steuer statt Stochastik? Nein, sagt Ludwig Unger, Sprecher des bayerischen Kultusministeriums. Im Interview erklärt er, weshalb die Steuererklärung nicht in den Unterricht gehört und wieso Kunst wichtig ist.
Ludwig Unger: In der Geschichte der Schule stehen immer zwei Überlegungen im Mittelpunkt. Einerseits: Lernen wir stärker abstrakt. Und andererseits: Müssen wir stärker den Alltag einbeziehen. Es geht stets um die lateinisch formulierte Frage: Non scholae, sed vitae discimus, nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Wir in Bayern sind der Überzeugung, dass wir sowohl für die Schule, das heißt für eine umfassende Bildung auch der Persönlichkeit, als auch für das Leben lernen.
Unger: Wenn Sie allerdings eine andere Ausbildung gemacht hätten, etwa als Mechatroniker oder ein Studium in den Naturwissenschaften, wären Sie froh gewesen, dass Sie vieles von dem in Mathematik oder den Naturwissenschaften Gelernten, gewusst hätten. Zudem lassen sich viele Dinge, die man etwa im Wirtschaftsunterricht lernt, direkt anwenden.
Unger: Wirtschaft und Recht als inhaltliche Themenstellungen gibt es an allen weiterführenden Schulen in Bayern, unterschiedlich gewichtet und mit unterschiedlichen Namen. Dass Wirtschaft und Recht in der modernen Gesellschaft allein nicht lebensfähig machen, dass auch Deutsch, Latein, Geschichte, Französisch oder Englisch, um nur einige Fächer zu nennen, dazugehören können, darüber müssen wir nicht reden.
Unger: Ich glaube, dass Schule nicht nur für den konkreten Alltag vorbereiten darf. Schule muss einen Rucksack an Kompetenzen, an Wissen zur Verfügung stellen, mit dem der Schüler ein Stück weit in das Leben hineingehen kann. Manches wird nicht unmittelbar anwendbar sein. Manches wird dazu dienen, die eigene Persönlichkeit auszuformen, aber an vielem wird er anknüpfen können.
Unger: Etwa die ästhetische oder kulturelle Bildung. Ohne diesen Bereich geht – meiner Meinung nach – gar nichts, er dient der Persönlichkeit. Wir haben an Schulen jedoch zudem einen zweiten Bereich. Das Wissen aus diesen Fächern ist zwar nutzbar, jedoch im Kern nicht als wirtschaftliche Ausbildung gedacht. Der Englisch-Unterricht ist ein Beispiel hierfür. Da gehört literarisches Wissen genauso dazu wie Sprache. Um überhaupt eine Interpretation eines Gedichtes in Englisch zu schreiben, braucht es einen gewissen Wortschatz. Ein Schüler, der das kann, wird sich vermutlich in England sprachlich ausdrücken können. Und wer nicht Englisch kann, ist in der Welt kaum alltagstauglich. Und auch Geschichte ist eines dieser wichtigen Fächer.
Unger: Zum Beispiel im Hinblick auf Pegida. Wer nicht sieht, dass es bei einzelnen Vertretern dieser Bewegung um Menschen geht, die offensichtlich aus der Geschichte wenig gelernt haben, die nicht wissen, dass Intoleranz letztlich zu neuen Konflikten führt, der hat Geschichte nicht gelernt.
Unger: Ja, das ist ein Teil schulischer Aufgaben. Es gibt Fächer, die tatsächlich sehr viel auf die Gestaltung des Alltags ausgerichtet sind, wie etwa Wirtschaft und Recht.
Unger: Ich würde sogar glauben, es wäre falsch. Wenn ein Schüler in der neunten Klasse eine Steuererklärung übt und nach der Lehre tatsächlich eine machen muss, hat sich vermutlich vieles geändert.
