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Sterbehilfe: „Das falsche Signal“
Giovanni Maio
Foto: SK | Giovanni Maio
Evangelischer Pressedienst
 |  aktualisiert: 06.01.2014 19:03 Uhr

Das belgische Parlament will kurz vor den Wahlen im Mai einen Gesetzentwurf verabschieden, der Sterbehilfe auch an Kindern unter 18 Jahren erlaubt. Wenn die Minderjährigen „Urteilsfähigkeit“ besitzen, „unheilbar krank sind“ und unter „unstillbaren physischen Schmerzen“ leiden, soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Belgien hatte bereits 2002 die aktive Sterbehilfe für Erwachsene erlaubt. Giovanni Maio, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg, kritisiert das Vorhaben und plädiert für Alternativen.

Frage: Herr Maio, wie beurteilen Sie den Vorstoß Belgiens, nach dem nun Sterbehilfe bei Kindern und Jugendlichen möglich werden soll?

Giovanni Maio: Ich halte diesen Vorstoß für sehr problematisch und in keiner Weise akzeptabel. Zu sagen, wir töten euch, wenn ihr das wollt, ist das falsche Signal.

Warum halten Sie das für das falsche Signal?

Maio: Gerade Minderjährigen muss signalisiert werden, dass wir sie lieben und nichts zu viel für uns ist, um ihnen Lebensqualität zu ermöglichen. Allein die Frage zu stellen, ob Jugendliche lieber leben oder eine Todesspritze haben wollen, finde ich falsch. Natürlich sind viele dieser Jugendlichen durch ihre Krankheit oft schon sehr gereift, aber sie sind dennoch angewiesen auf eine Gemeinschaft und stärker von ihrer sozialen Umgebung abhängig als Erwachsene. Die Todesspritze signalisiert eine Negativbewertung des Lebens. Wenn der Minderjährige sagt ,Ich möchte nicht mehr sein' und wir antworten ,Gut, wir haben eine Lösung, wir haben eine Spritze', dann werden sie darin bestätigt, dass das Leben sinnlos ist. Stattdessen müssen wir fragen: Was fehlt Dir? Was ist sinnlos? Was können wir für Dich tun?

Zuwendung statt Sterbehilfe also.

Maio: Ja, es kommt auf uns an, wie es dem Kind geht. Wenn jemand sagt, ich möchte nicht mehr leben, dann muss uns das aufhorchen lassen. Wir müssen uns mit den Menschen solidarisieren, denen es am schlechtesten geht. Wir dürfen nicht mit Gleichgültigkeit reagieren. Man muss sich doch aufgerufen fühlen, die halbe Welt zu verändern, damit dieser Mensch neuen Lebensmut bekommt. Studien belegen, dass viele Menschen sterben wollen, weil sie Angst haben, anderen zur Last zu fallen. Sie fühlen sich im Grunde wertlos. Genau da muss man ansetzen und sagen: Ihr seid keine Belastung. Ihr seid von so großem Wert, weil Ihr uns etwas schenkt. Dadurch, dass Ihr da seid, bereichert Ihr uns. Wir müssen alles tun, um ihnen Perspektiven aufzuzeigen, und seien sie noch so klein. Das muss man vermitteln.

Und was können die Mediziner tun?

Maio: Es ist auch für sie möglich, Trost zu spenden, allein durch ihre persönliche Zuwendung. Und sie müssen sagen: Wir wollen nicht, dass Du leidest. Und wenn das Leben ein Ende hat und haben soll, dann werden wir Dich nicht daran hindern. Wir müssen also auch darauf achten, dass Kinder nicht am Sterben gehindert werden. Wir brauchen eine Medizin, die nach dem Sinn der Therapie fragt und nicht nur auf Teufel komm raus behandelt. Es leuchtet ein, dass eine Medizin, die sehr auf Technik setzt, am Ende des Lebens sprachlos und hilflos ist und nur noch die Spritze parat hält. An diesem Punkt versagt die moderne Medizin. Wir müssen frühzeitiger die Grenzen des Machbaren erkennen. Wir brauchen gute Palliativmedizin, bessere Schmerztherapien und vor allem gute Ärzte, die Empathie empfinden können.

Ist ein Vorstoß wie in Belgien auch in Deutschland möglich?

Maio: Wir werden in Deutschland sicherlich nicht solche Gesetze wie in Belgien bekommen, dennoch besteht auch bei uns die Tendenz dazu, den Tod ein Stück weit zu banalisieren. Der frühzeitige Tod gilt nicht mehr als etwas, das es zu verhindern gilt, sondern als logisches Resultat einer Bilanzierung.

Hat sich die gesellschaftliche Debatte um den Tod also gewandelt?

Maio: Es gibt eine stärkere, öffentliche Debatte. Doch im Grunde gehen wir mit dem Sterben um wie mit allem im spätkapitalistischen Zeitalter. Wir gehen davon aus, dass es eine private Aufgabe jedes Einzelnen ist, sich darum zu kümmern und wir unterschätzen die Bedeutung der Gemeinschaft. Viele Menschen haben Angst vor dem Sterben. Sie haben Angst, dann nur noch an Maschinen angeschlossen zu sein, und dies ist auch ein Stück weit berechtigt. Die Medizin muss frühzeitig entscheiden, ob weiterbehandelt wird oder eben nicht. Da sie aber dazu neigt, Menschen oft zu lange an Apparaten hängen zu lassen, fürchten sich viele davor, am Ende des Lebens ausgeliefert zu sein.

Wie sähe Ihrer Meinung nach ein menschenwürdiges Sterben aus?

Maio: Zum einen gibt es kein standardisiertes Sterben. Das heißt, wir können menschenwürdiges Sterben nur dann gewährleisten, wenn wir die Einzigartigkeit jedes Einzelnen im Blick haben. Außerdem ist es ein Grundbedürfnis des Menschen, sich aufgehoben zu fühlen. Es ist sowohl Aufgabe der Medizin als auch der ganzen Gesellschaft, diese Geborgenheit zu vermitteln. Wir dürfen diese Menschen nicht alleine lassen. Wir müssen uns zuständig fühlen. Letztlich sind wir alle gemeinsam dafür verantwortlich, dafür zu sorgen, dass die Bilanz eines Menschen positiv ausfällt. Dafür ist er nicht alleine verantwortlich. Wenn wir einen Menschen einfach in die Freiheit entlassen, lassen wir ihn vielleicht auch im Stich.

Giovanni Maio

Der 45-Jährige ist Professor am Institut für Geschichte der Medizin an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg und leitet das dortige interdisziplinäre Ethikzentrum. Giovanni Maio studierte Philosophie und Medizin und war lange Zeit als Internist tätig. Als Mitglied verschiedener überregionaler Kommissionen berät er regelmäßig unter anderem die Bundesärztekammer, die Bundesregierung und die Deutsche Bischofskonferenz. Maio gilt als Kritiker der Präimplantationsdiagnostik und stellt sich einer Kommerzialisierung der Medizin entgegen. Text: SK

 
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