Die Angst vor einem neuen Wettrüsten treibt Frank-Walter Steinmeier schon seit Monaten um. Als der Bundesaußenminister vor wenigen Tagen einen Vorstoß für eine neue Runde zum Abbau von Waffensystemen in Europa wagte, keimte ein wenig Hoffnung auf. Inzwischen steht fest: Die Zahl der Unterstützer hält sich in bescheidenen Grenzen.
„Wir können uns keine zusätzlichen Auflagen oder Obergrenzen auflasten“, erteilte jetzt der litauische Außenminister Linas Linkevicius den Überlegungen seines deutschen Amtskollegen eine Absage. Die Lage in seiner Region sei so sensibel, dass man im Gegenteil sogar noch mehr in Sachen Aufrüstung tun und Lücken schließen müsse.
Im Kreis der Nato-Partner herrscht ebenfalls, wie führende Botschafter und Militärs bestätigten, „große Distanz“ zu den Ideen Steinmeiers. Amerikas Botschafter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Daniel Baer, sprach am Wochenende offen davon, es sei „jetzt wichtiger sicherzustellen, dass Russland bestehende Abkommen einhält“. Eine Meinung, der sich viele anschließen.
Zweifel an Russland
Derzeit gibt es keine wirksame Rüstungskontrolle in Europa. Der 1990 abgeschlossene Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) wurde 2007 von Russland ausgesetzt: Er legte Obergrenzen für schwere Waffensysteme fest, die auf dem Kontinent stationiert werden durften. Innerhalb der Nato heißt es, Moskau halte sich auch nicht an das Wiener Dokument aus dem gleichen Jahr, das gegenseitige Informationen und auch Inspektionen von Militäreinrichtungen vorsieht. Außerdem gebe es ständige Probleme mit dem „Open Sky“-Vertrag, der die Überflugrechte über das Territorium eines Vertragspartners regelt.
Hinzu kommen weiter gravierende Zweifel über die russische Rolle in der Krim- und Ukraine-Krise. Steinmeier hatte nun vorgeschlagen, Gespräche über neue Vereinbarungen in Gang zu setzen. Dabei könnten regionale Obergrenzen, Mindestabstände von Truppen zur Grenze des Nachbarn oder unsicherer Gebiete sowie Maßnahmen zur Transparenz definiert werden. Militärische Fähigkeiten wie Drohnen oder Cyberkrieg-Strategien könnten einbezogen werden, die OSZE müsse die Kontrolle übernehmen.
Kritiker sehen in dem Vorstoß Steinmeiers einen weiteren Versuch, den gegenwärtigen Kurs der Nato zumindest infrage zu stellen. Schon vor dem Gipfeltreffen der Allianz im Juli in Warschau kritisierte der SPD-Politiker das „Säbelrasseln“. Das Bündnis hatte damals die neue Vorwärtsstrategie Richtung Osten mit der Stationierung neuer, beweglicher Einheiten in Osteuropa beschlossen.
Aber inzwischen steht der Bundesaußenminister nicht mehr alleine da. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg unterstützte sogar offen den Vorstoß und sagte, die „Initiative kommt zum richtigen Zeitpunkt“. Es sei „auch kein Widerspruch, einerseits den Bruch bestehender Verträge durch Russland zu kritisieren und andererseits parallel dazu an modernen, besseren Abkommen zu arbeiten“.
Moskau wittert Tauwetter
Offenbar wittert man auch in Moskau einen beginnenden Wandel im Westen.
„Wenn einer der führenden europäischen Politiker für Vorsicht plädiert, sollten wir genauso konkret darauf reagieren“, erklärte am Wochenende der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Föderationsrat, dem Oberhaus des russischen Parlamentes, Konstantin Kossatschow. „Wir sollten einen Komplex von Initiativen erwägen, die die Basis für grundsätzliche Vereinbarungen im Bereich der Sicherheit und Rüstungskontrolle bilden könnten.“
Was von solchen Signalen zu halten ist, will Steinmeier selbst wohl auch erst noch herausfinden, betonte er am Wochenende. Man müsse aber Russlands Bereitschaft „testen“, über solche Fragen zu reden.
Steinmeiers Vorschläge für einen Neustart der Rüstungskontrolle
„Mehr Sicherheit für alle in Europa – Für einen Neustart der Rüstungskontrolle“: Mit diesen Worten hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier seine brisanten Vorschläge für eine strengere Reglementierung von konventionellen Militäraktivitäten überschrieben. Laut seinem Beitrag braucht es neue Vereinbarungen, die
• „regionale Obergrenzen, Mindestabstände und Transparenzmaßnahmen definieren (insbesondere in militärisch sensiblen Regionen, zum Beispiel im Baltikum); • neuen militärischen Fähigkeiten und Strategien Rechnung tragen (Wir reden heute weniger von klassischen, schweren Armeen als von kleineren, mobilen Einheiten, also sollten wir zum Beispiel Transportfähigkeit mitbeachten); • echte Verifikation erlauben: rasch einsetzbar, flexibel und in Krisenzeiten unabhängig (zum Beispiel durch die OSZE); • auch in Gebieten anwendbar sind, deren territorialer Status umstritten ist; • neue Waffensysteme einbeziehen (zum Beispiel Drohnen)“. dpa