John B. Emerson, der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik, entfaltete seinen ganzen Charme, zu dem er in der Lage war. Auf der traditionellen „Stallwächterparty“ des Landes Baden-Württemberg am Donnerstagabend in der Landesvertretung des „Ländle“ schüttelte der Gesandte von US-Präsident Barack Obama viele Hände und führte noch mehr Gespräche, immer freundlich, immer lächelnd. Beziehungspflege war angesagt, die „Stallwächterparty“ mit ihren mehr als 2000 Gästen aus der Politik, der Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Leben der Hauptstadt war der geeignete Rahmen, um für Vertrauen zu werben.
Doch John B. Emerson hatte einen schweren Stand und musste viel erklären. Nachdem die Bundesregierung am Donnerstag die diplomatische Höchststrafe ausgesprochen und den obersten Repräsentanten der amerikanischen Geheimdienste des Landes ultimativ aufgefordert hatte, das Land zu verlassen, waren die ohnehin schon angeschlagenen deutsch-amerikanischen Beziehungen an einem neuen Tiefpunkt angekommen. Ein außergewöhnlicher Vorgang, ein unmissverständliches politisches Signal, das die Regierung Merkel an die Adresse Washingtons gesandt hatte.
Eine Ausreiseaufforderung an einen akkreditierten US-Diplomaten hatte es noch nie gegeben. Und das Außenministerium in Berlin ließ am Freitag keinen Zweifel aufkommen, wie ernst die Lage sei. In der Sprache der Diplomatie sei die „Bitte“, das Land zu verlassen, „ein Marschbefehl“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes, die Ausreise müsse „zeitnah“ erfolgen, das bedeute „innerhalb weniger Tage“. Die Botschaft ist klar. Berlin will sich nicht mehr alles bieten lassen. „Die USA bleiben der wichtigste Verbündete in Sicherheitsfragen, aber irgendwann einmal muss auch gut sein“, brachte es Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) auf den Punkt. Die Ausreiseaufforderung an den US-Vertreter sei eine „angemessene und nüchterne Maßnahme“.
Gleichwohl war die Bundesregierung am Freitag auch ein Stück weit um Schadensbegrenzung bemüht, wollte nicht weiteres Öl ins Feuer gießen. Regierungssprecher Steffen Seibert widersprach einem Bericht der „Bild“-Zeitung, wonach es eine Anweisung der Regierung an alle deutschen Geheimdienste gebe, die Zusammenarbeit mit den US-Partnerdiensten auf das Notwendigste zu beschränken. „Eine solche Anweisung hat es nicht gegeben.“ Die Kooperation mit den Amerikanern sei für die Sicherheit Deutschlands unerlässlich, sagte er – ohne weitere Einzelheiten zu den operativen Details der Geheimdienstarbeit zu nennen.
Dafür, dass der Gesprächsfaden nicht reißt, sorgt Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Schon am Sonntag wird er seinen amerikanischen Amtskollegen John Kerry in Wien treffen, wo die Gespräche über das iranische Atomprogramm fortgesetzt werden. Dabei wird er mit ihm auch über die Spionageaffäre sowie die Zukunft des deutsch-amerikanischen Verhältnisses sprechen, kündigte er an. Dies sei auch im Interesse der USA und des amerikanischen Außenministers. „Unsere Partnerschaft mit den USA ist trotz der Vorgänge der letzten Wochen, die beunruhigend waren, ohne Alternative“, sagte der oberste Diplomat des Landes.
Gleichwohl müsse sie von „Vertrauen und gegenseitigem Respekt“ getragen werden. Die Bundesregierung sei bereit, „die beiderseitige Freundschaft auf ehrlicher Grundlage neu zu beleben“. Angesichts der zahlreichen Krisen in der Welt sei ein transatlantisches Miteinander unverzichtbar. „Es wäre eine Illusion zu glauben, dass eine Entschärfung der Konflikte wie auch die Erarbeitung politischer Lösungen ohne Zusammenarbeit mit den USA gelingen könnte.“
Der Rauswurf des obersten CIA-Mannes in Deutschland ist nicht nur in den US-Nachrichten präsent, er hat auch eine Debatte angestoßen. Allerdings wird sie nicht von Schuldbewusstsein dominiert: Selbst Fürsprecher stellen sehr kritische Fragen an Deutschland; konservative Beobachter signalisieren, dass ihre Geduld mit dem empfindlichen Partner am Ende ist. Die Regierung hüllte sich gestern immer noch in Schweigen.
Im Weißen Haus hatte man mit dem Affront wohl nicht gerechnet. Präsident Barack Obama weilte am Donnerstag in Texas; sein Sprecher Josh Earnest sagte, er könne sich zu den „angeblichen“ Entwicklungen nicht äußern. Seither herrscht Stille.
Einer Gesandtschaft des Bundestages war es diese Woche gelungen, im US-Senat ein paar Politiker von der Ernsthaftigkeit der Krise zu überzeugen. Das Spionagethema sei „ein enormer Störfaktor in unserer Beziehung“, erklärte der Vorsitzende des Auslandsausschusses, Robert Menendez. „Ich bin tief besorgt“, sagte die Chefin des Geheimdienstgremiums, Dianne Feinstein. Beide Demokraten forderten aber keine konkreten Konsequenzen.
Auf konservativer Seite dominiert die Ansicht, dass nicht Amerika, sondern Deutschland zu weit gegangen ist. Die meisten Kommentatoren erklären, Deutschland liefere den USA allen Grund zur Spionage. Dabei wird nicht nur darauf hingewiesen, dass die 9/11-Attentäter aus Deutschland kamen. Experten erklären, dass Deutschland einer der größten Handelspartner des Iran sei, Waffen an China verkaufe und sowohl frühere als auch aktive Politiker sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bestens verstünden. Helmut Schmidt habe die Annexion der Krim als völlig verständlich bezeichnet, und Hans-Christian Ströbeles Reise zu Edward Snowden sei ohne Absprache mit Putin gar nicht denkbar.
„Aus Sicht vieler führender amerikanischer Geheimdienstmitarbeiter sind die Deutschen nicht bündnisfähig“, erklärte der ehemalige Vizechef des Nationalen Geheimdienstrates, Mark Lowenthal, dem Sender PBS. Im Libyen-Krieg hätten die Deutschen sich nicht nur militärisch verweigert, sondern auch in der UNO enthalten. „Verbündete kommen und gehen“, sagte Lowenthal.
Vorwürfe an den BND
Der Publizist James Kirchick erklärte im Magazin „The Daily Beast“, der Bundesnachrichtendienst habe das Bankennetzwerk SWIFT infiltriert, um deutschen Unternehmen Vorteile zu verschaffen. „Deutschland ist kein vertrauenswürdiger Verbündeter.“
Es gibt auch andere Stimmen. Jacob Heilbrunn attestiert den Deutschen in der „Los Angeles Times“ zwar eine verquere Wahrnehmung. Es gebe aber keine Notwendigkeit, sie unnötig von sich fortzutreiben. „Indem sie auf deutschen Bürgerrechten herumtrampelt, beschmutzt die Regierung Obama das Bild Amerikas und erlaubt den Deutschen, sich der früheren Siegermacht moralisch überlegen zu fühlen.“
Der frühere Chef von CIA und NSA, Michael Hayden, glaubt, dass die Amerikaner einfach ihr Handwerk besser machen müssen: Alle Nationen spionierten, sagte er dem Sender ABC. Aber man müsse es richtig machen. „Wenn irgendetwas an diesen Berichten stimmt, haben wir jemanden blamiert, der unbestreitbar ein guter Freund ist.“