Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich habe den Auftrag gegeben, ihn zu ermorden, sagte der Kreml-Gegner Alexander Litwinenko auf seinem Sterbebett. Nun, mehr als neun Jahre später, nennt ein britischer Untersuchungsbericht denselben Namen. Die Tötung des Kreml-Kritikers Litwinenko sei „wahrscheinlich“ nicht nur von Nikolai Patruschew, dem damaligen Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, gebilligt worden. Sondern auch vom mächtigsten Mann Russlands: Präsident Putin. Das gab Richter Sir Robert Owen, der Leiter der Untersuchung, bekannt.
Diese hat zwar keine direkten strafrechtlichen Konsequenzen, aber die Ergebnisse bergen reichlich politischen Sprengstoff. Die Briten belasten immerhin die höchsten Kreise der Führung in Moskau, wo die Vorwürfe als „politisch motiviert“ sowie als „widersprüchlich und verbrecherisch“ zurückgewiesen wurden.
Downing Street bezeichnete die Ergebnisse als „extrem verstörend“. Ein solches Verhalten könne „kein Staat und schon gar kein Mitglied des UN-Sicherheitsrats an den Tag legen“, ließ eine Sprecherin von Premier David Cameron verlautbaren. Das Außenministerium in London bestellte den russischen Botschafter ein, Innenministerin Theresa May sagte, der Mord sei ein „eklatanter und inakzeptabler Bruch mit den grundlegendsten Prinzipien des internationalen Rechts und zivilisiertem Verhaltens“.
Die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen dem Königreich und Russland werden weiter belastet und das zu einem äußerst schlechten Zeitpunkt. Ohne die Hilfe Putins wird ein Ende des Syrien-Kriegs kaum möglich sein, gaben Beobachter sogleich zu bedenken. Doch die mutmaßliche Verstrickung der russischen Regierung in einen Anschlag in der Londoner Innenstadt ist diplomatisch mehr als heikel.
Es war ein Spionage-Thriller in Echtzeit, der die Welt wochenlang in Atem gehalten hatte. Ein ehemaliger russischer KGB-Agent, der 2000 ins Exil nach Großbritannien geflohen war, trifft sich am 1. November 2006 mit zwei Landsmännern im Londoner Luxushotel Millennium und trinkt eine Tasse grünen Tee. Kurz darauf leidet er unter einer rätselhaften Krankheit, kommt in eine Klinik, die Ärzte in der Hauptstadt versuchen die Ursache für seinen täglich schlechter werdenden Zustand herauszufinden. Erst spät, zu spät, wissen sie, dass Alexander Litwinenko mit radioaktivem Polonium 210 vergiftet wurde.
Der 43-jährige Regierungskritiker, der ab 2003 für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 arbeitete, ist sich dagegen von Anfang an sicher, dass er einem Giftanschlag zum Opfer gefallen ist. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass die russischen Geheimdienste verantwortlich sind“, wies der Ex-Sowjet-Agent vom Krankenbett aus die Schuld für seine Ermordung dem Kreml und insbesondere Putin zu. Das Bild von Litwinenko, abgemagert, haarlos und umgeben von Schläuchen, ging um die Welt. Kurz darauf stirbt er.
Tötete Moskau wirklich seinen Kritiker? Der Untersuchungsbericht deutet das an. Ein Hinweis gebe das eingesetzte Polonium, heißt es. Da die teure Substanz aus einem Atomreaktor stamme, liege der Schluss nahe, dass es im Namen einer staatlichen Instanz „und nicht etwa einer kriminellen Organisation“ verabreicht wurde.
Damals hatte der Tod Litwinenkos das Verhältnis zwischen London und Moskau schwer belastet, da der Kreml die Auslieferung von Andrej Lugowoi verweigerte – und es bis heute tut. Der Geschäftsmann und Ex-Agent, gegen den auf der Insel ein Haftbefehl besteht, galt schon damals als Hauptverdächtiger für Scotland Yard. Ihn und Geschäftspartner Dmitri Kowtun hatte Litwinenko zur tea time getroffen. Lugowoi sitzt mittlerweile im russischen Parlament und genießt Immunität.
Im Untersuchungsbericht werden die beiden namentlich als die Täter benannt, doch sie hätten „im Auftrag von anderen“ gehandelt.