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Standpunkt: Journalismus ist kein Verbrechen
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:33 Uhr

Binali Yildirim tat so, als sei er mit leeren Händen nach Berlin gekommen. Nach seinem mit Spannung erwarteten Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag zeigte sich der türkische Ministerpräsident äußert zugeknöpft und wollte von einer Freilassung des seit mehr als einem Jahr inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel nichts wissen. Er verwies auf die Zuständigkeit der Gerichte und die Unabhängigkeit der Justiz. Die alte Leier, nichts Neues unter der Sonne.

Tatsächlich aber wusste der enge Erdogan-Vertraute zu diesem Zeitpunkt schon viel mehr. Im vertraulichen Gespräch mit der Kanzlerin wurden wohl die letzten Details für die Lösung des Falls ausgehandelt, der seit einem Jahr das deutsch-türkische Verhältnis außerordentlich schwer belastet und für Ankara immer mehr zu einem außenpolitischen Mühlstein wurde. Zuvor hatte bereits Außenminister Sigmar Gabriel alle diplomatischen Kanäle genutzt, um in der Sache Druck zu machen. Mit Erfolg: Nur wenige Stunden nach dem Gespräch Yildirims im Kanzleramt ordnete ein Gericht die Freilassung Yücels an. So viel zum Thema Unabhängigkeit der türkischen Justiz.

Die Erleichterung ist groß. Deniz Yücel saß 367 Tage unschuldig in Haft, weil er als Journalist seiner Arbeit nachging. Journalismus ist aber kein Verbrechen, sondern das Salz in der Suppe der Demokratie, notwendig, um die Mächtigen zu kontrollieren und die Öffentlichkeit zu informieren. Nur Autokraten, Diktatoren und Tyrannen fürchten sich vor Journalisten und verhindern mit allen Mitteln eine freie Berichterstattung.

Yücel kommt frei, weil sich die Öffentlichkeit in Deutschland und die Politik für ihn eingesetzt haben, auf offener Bühne wie hinter den Kulissen. Sein Name und sein Bekanntheitsgrad haben aus seinem Fall ein Politikum ersten Ranges gemacht. 155 weitere Journalisten, weniger bekannt, weniger berühmt, sitzen in der Türkei weiter hinter Gittern und sind einer am kurzen Gängelband der Politik hängenden Justiz ausgeliefert. Bei aller Freude über die Freilassung Yücels darf auch ihr Schicksal niemandem gleichgültig sein. Dieser Kampf muss weitergehen. Wenn Erdogan glaubt, mit der Freilassung Yücels das Problem aus der Welt geschafft zu haben, so irrt er sich gewaltig. Die Menschenrechte gelten nicht nur für einen, sondern für alle gleichermaßen. So schnell kann im deutsch-türkischen Verhältnis keine Normalität einkehren.

Erst recht darf es niemals und unter keinen Umständen eine deutsche Gegenleistung für die Freilassung Yücels geben. Wenn auch nur der Hauch eines Eindrucks entsteht, die Türkei habe unmittelbar oder indirekt etwas bekommen, was sie unter normalen Umständen niemals erhalten hätte, wäre dies ein nicht wiedergutzumachender Fehler.

 
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