Die Gewalt ist zurück in Ferguson, und das heftiger als zuvor. Es ist noch unklar, wie viel Zerstörungswut echtem Zorn über den Juryentscheid zum Fall Michael Brown geschuldet ist. Der Schmerz der Eltern ist begreiflich, dennoch haben sie zur Gewaltlosigkeit aufgerufen. Für alle anderen, Betroffene wie Beobachter, hält die Affäre ein paar Lektionen bereit.
In den USA gibt es eine lange Tradition rassistischer Diskriminierung, auch vonseiten der Polizei. Die umgekehrte Form der Diskriminierung existiert allerdings auch: Ein großer Prozentsatz der Beobachter im In- und Ausland ist bei einschlägigen Konflikten nur zu gern bereit, die Schuld den vermeintlich Mächtigen zuzuschieben. Wo das ohne sorgfältige Prüfung geschieht, basiert es ebenso auf Vorurteilen wie weniger politisch korrekte Anmaßungen. Präsident Barack Obama hatte recht, als er in der Nacht auf Dienstag sagte, der Fall sei ein Erbe der Geschichte – auf ihm lasten jahrhundertealte Diskriminierungserfahrungen. Es braucht einen langen Atem, um solche Strukturen zu ändern, und Einsatz dafür ist aller Ehren wert. Wer die historische Last aber dadurch entsorgen will, dass er sie einem einzelnen Individuum aufbürdet, erweist der Angelegenheit einen Bärendienst.
Der Fall Michael Brown ist, wie der Fall Trayvon Martin, möglicherweise nie endgültig zu entscheiden. In diesen Fällen gilt in einem Rechtssystem aus guten Gründen die Regel „Im Zweifel für den Angeklagten“. Dass die Jury sich daran in Missouri wie in Florida gehalten hat, entspricht ihrem Auftrag und war nach Lage der bekannten Fakten angemessen. Ein Bauernopfer mag kurzfristig Genugtuung verschaffen. Es bleibt aber neues Unrecht, und als solches verhärtet es den Konflikt, statt ihn lösen zu helfen. Experten werden sich darüber streiten, ob transparentere Verfahren mehr zur Befriedung beitragen könnten als eine Juryberatung hinter verschlossener Tür. Die öffentliche Erregung über einen so langen Zeitraum hin täglich neu zu stimulieren, muss nicht nur Vorteile haben. Die meisten Menschen in Ferguson stören sich letztlich auch gar nicht so sehr am Formalen. Ihnen geht es um Reformen an der lokalen Polizei, die sie als systematisiertes Unrecht erleben. Sie müssen achtgeben, dass sie sich dieses legitime Anliegen nicht von einer Handvoll Chaoten aus der Hand nehmen lassen: Wo Polizeiwagen brennen und Protestierer schießen, wirken auch Beamte in militärischer Montur nicht mehr übertrieben.
Allen anderen bietet die erneuerte Faktenlage Anlass zu kritischer Innenschau: Man darf skeptisch bleiben gegenüber demjenigen, was die Ermittler zusammengetragen haben. Man sollte aber auch die Skepsis gegenüber dem eigenen Bedürfnis nach einfachen Lösungen nie ganz aus dem Blick verlieren. Der Fall von Ferguson ist komplex. Manchmal besteht die bestmögliche Annäherung an Wahrheit darin, so etwas auszuhalten.