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Standpunkt: Die Beziehungen sind auf einem Nullpunkt
Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 15.06.2017 03:47 Uhr

Die deutsch-türkischen Beziehungen sind auf dem Nullpunkt und das ist natürlich einerseits unendlich zu bedauern. Andererseits gilt aber auch: Der Nullpunkt ist der beste Ausgangspunkt für einen kompletten Neuanfang. Und der ist bitter nötig, weil die Türkei von heute eben nicht mehr die Türkei ist, die sie noch vor einigen Jahren war oder zumindest einmal zu werden versprach.

Deutschland und der Westen hofften jahrzehntelang, dass am Bosporus in nicht allzu ferner Zukunft ein aufgeklärter, säkularer, moderner, demokratischer Rechtsstaat entstehen würde. Diese Illusion ist zerplatzt, seit Präsident Recep Tayyip Erdogan die demokratischen Strukturen in den Staub getreten hat und sich anschickt, das Land in eine islamistische Diktatur zu verwandeln. Nach einem Putschversuch im vergangenen Sommer verlor er jedes Maß und Ziel. Natürlich hat der Staat das Recht, gegen seine Feinde vorzugehen, doch Erdogan nutzte den Putsch als Rechtfertigung, sich die alleinige Macht zu sichern und alle tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Andersdenkenden gnadenlos zu verfolgen.

Auch im Umgang mit ausländischen Partnern setzt Erdogan auf Eskalation. Spätestens seit der Bundestags-Resolution, die den Völkermord an den Armeniern verurteilt, ist Deutschland das bevorzugte Ziel des Wüterichs in Ankara, der auf die Wählerstimmen von Millionen in Deutschland lebenden Türken schielt.

Ob in der Affäre um das Schmähgedicht von Satiriker Jan Böhmermann, im Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland oder in den türkischen Nazi-Vorwürfen gegen deutsche Politiker – überall wird deutlich, wie tief der Graben zwischen der Türkei und Deutschland inzwischen ist.

Nicht erst seit Ankara Journalisten mit deutschem Pass quasi als Geiseln festhält, wird klar, dass gemeinsame Werte im Moment nicht auszumachen sind. Und dass der Türkei in der Frage der Truppenbesuche in Incirlik die Düpierung des deutschen Nato-Partners wichtiger ist, als der gemeinsame Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat, spricht eine deutliche Sprache. Mit der Türkei von heute macht es wenig Sinn, über die Beziehungen von morgen zu sprechen.

 
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