Die Vorurteile, die anhand des Amoklaufes von Charleston sichtbar werden, sind alt, sehr alt. Sie gehören zu den hässlichsten der an perversen Klischees reichen Schwarzendiskriminierung in den USA. Zu Recht sind viele schockiert, dass es 2015 noch Menschen gibt, die sich offen zu ihnen bekennen. Noch schlimmer allerdings ist das willentliche Wegschauen tonangebender Konservativer – es schafft die Atmosphäre, in der extreme Ansichten ihre verheerende Frucht tragen können. Der Amoklauf von Charleston hat einen Kontext, der keineswegs nur den US-Süden betrifft.
„Ihr vergewaltigt unsere Frauen, und ihr übernehmt unser Land.“ Das soll der mutmaßliche Täter seinen Opfern gesagt haben, bevor er sie in der Schwarzenkirche Emanuel AME erschoss. Damit bündelt er zwei der ältesten Ängste weißer Amerikaner seit der Sklaverei. Mit dem Vergewaltigungsvorwurf sind zahllose Lynchings begründet worden; Zeitungen haben ihn genauso bemüht wie Politiker.
Es wurde aber immer wieder belegt, dass er frei erfunden ist: Bei den meisten Skandalen, bei denen sexuelle Kontakte zwischen schwarzen Männern und weißen Frauen nachgewiesen werden konnten, war der Verkehr einvernehmlich – erst nach der Entdeckung machten die Angehörigen der Frau daraus eine Vergewaltigung, um die „Familienehre“ zu retten.
Die Angst vor dem Fremden ist menschlich. Die Oberhand gewinnen kann diese dunkle Tendenz aber erst, wo Menschen sich diese Schwäche nicht eingestehen. Für Dylann R. gilt vorerst die Unschuldsvermutung, auch im Hinblick auf mögliche Motive gibt es derzeit in Charleston nur Indizien. Wer diese Indizien aber derart ignoriert, dass er sofort über einen „Anschlag aufs Christentum“ spekulieren kann, ist nicht an Wahrheitsfindung interessiert. Einflussreiche konservative Kreise versuchen, das Rassismusproblem in den USA zu leugnen. Damit erweisen sie ihrem Land denselben Bärendienst wie die Südstaatler, die sich weigern, in der Konföderiertenflagge etwas anderes als ein Heimatsymbol zu sehen: Sie ignorieren nicht nur das Leid einer breiten Bevölkerungsgruppe. Ihr Wegschauen begünstigt eine Atmosphäre, in der Extremisten sich toleriert fühlen können.